Interview

Mehr Tempo für weniger Tote

Ausgabe 81 – Mai | Juni 2019

Nhan Tran, Experte für Verkehrssicherheit bei der Weltgesundheitsorganisation WHO, berichtet über zögerliche Fortschritte im Kampf gegen Verkehrsunfälle.

Nhan Tran, Weltgesundheitsorganisation WHO
Nhan Tran, Weltgesundheits-organisation WHO
Anfang Mai veranstalten die Vereinten Nationen eine globale Verkehrssicherheitswoche. Sie soll Menschen motivieren, von der Politik mehr Verkehrssicherheitsmaßnahmen einzufordern. Fehlt es bei dem Thema an Druck?

Tran: Viele Menschen akzeptieren Todesopfer durch Verkehrsunfälle als unvermeidbare Folge des Straßenverkehrs. Die Verkehrssicherheitswoche soll der Öffentlichkeit bewusst machen, dass dies nicht sein muss und dass sie etwas dagegen tun können. Gewählte Politiker sind letztlich rechenschaftspflichtig, und wenn sie von ihren Wählern etwa für unsichere Straßen verantwortlich gemacht werden, dann wird das Thema auch auf ihrer Agenda landen. Allgemein ist das Bewusstsein für Verkehrssicherheit heute stärker als noch vor zehn Jahren. Ein klarer Beweis dafür ist, dass sich das Thema auch in den globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung findet: Laut Ziel 3.6. soll sich die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 halbieren.

Dieses Ziel wird aus heutiger Sicht nicht erreicht. Gibt es trotzdem positive Trends?

Tran: Es gibt Verbesserungen in der Verkehrssicherheit, diese sind aber vor allem in reicheren Ländern zu finden. Die Zahlen des WHO-Berichts 2018 zeigen, dass leider kein Land mit niedrigem Einkommen die Zahl der Verkehrstoten senken konnte. Länder wie Thailand und die Philippinen haben zwar Fortschritte in der Gesetzgebung erzielt, etwa bei der Geschwindigkeitsreduktion, der Helmpflicht und dem Einsatz von Kindersicherheitssystemen. Es gibt jedoch keine ärmeren Länder, in denen Verkehrssicherheit als umfassende Agenda verfolgt wird. Eine solche beeinhaltet gute Gesetze zur Senkung des Risikoverhaltens: wie gegen Alkohol am Steuer, zu schnelles Fahren und zur Verwendung von Gurten oder Helmen. Und sie umfasst auch Investitionen in die Straßeninfrastruktur und in den öffentlichen Verkehr.

Was verstehen Sie unter guten Infrastrukturmaßnahmen?

Tran: Die Art und Weise, wie Städte und Straßen gestaltet werden, hat einen großen Einfluss auf die Fahrweise und das Todesrisiko bei Unfällen. Die Zahl der Todesfälle lässt sich senken, wenn beispielsweise Radfahrer und Fußgänger vom motorisierten Verkehr separiert werden. Bogotá hat damit sehr erfolgreich die Zahl der Unfallopfer reduziert. Eine weitere tolle Maßnahme ist die Errichtung von Bus Rapid Transit Systemen, die es heute in vielen lateinamerikanischen Ländern gibt. BRTs sind mit überirdischen U-Bahnen vergleichbar und können auf sichere Weise eine große Anzahl von Menschen fortbewegen.

In Afrika gibt es seit ein paar Monaten eine Beobachtungsstelle, die Unfalldatesammelt. Warum ist das wichtig?

Tran: Daten sind extrem wichtig, vor allem für Afrika. In vielen Ländern ist die tatsächliche Zahl der Verkehrstoten im Straßenverkehr nämlich unbekannt. Da Regierungen daher die wahren Ausmaße nicht erkennen oder verstehen, bekommt Verkehrssicherheit auch nur geringe Priorität. Die Beobachtungsstelle wird, zusammen mit der Arbeit der WHO, den Ländern bei der Erfassung von Unfällen helfen. Diese werden so mehr Einblick erhalten, wann, wo und warum Unfälle auftreten.

Was kann der private Sektor beitragen?

Tran: Verkehrssicherheit ist nicht ein Produkt, das vom öffentlichen Sektor hergestellt wird. Die Sicherheit auf den Straßen hängt davon ab, wie Verkehrs- und Mobilitätssysteme aufgebaut sind, und der Privatsektor ist ein essenzieller Teil davon. Dessen Rolle ist aber nicht dieselbe wie die des öffentlichen Sektors. Unternehmen sollten beispielsweise dafür sorgen, dass Autos sicherer, Fahrer nicht durch Kommunikationsmittel abgelenkt und dass beim Straßenbau globale Standards eingehalten werden. Es ist aber nicht die Aufgabe eines Autoherstellers, Gesundheitskampagnen durchzuführen. Dafür gibt es Experten für öffentliche Gesundheit. Jeder Sektor ist wichtig und kann einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten.

Vielen Dank für das Gespräch!
Foto: Nhan Tran

Zur Hauptstory

Weltweit 3.700 Tote am Tag. Laut WHO sind Verkehrsunfälle die achthäufigste Todesursache in allen Altersgruppen (noch vor HIV/AIDS und Tuberkulose) und die häufigste Todesursache bei Kindern und jungen Erwachsenen.

Vermeidbare Tragödien

Schlechte Straßen, alkoholisiertes Fahren, unsichere Fahrzeuge – für Verkehrsunfälle gibt es viele Gründe, und oft gehen sie nicht glimpflich aus: Jedes Jahr sterben schätzungsweise 1,35 Millionen Menschen an den Folgen eines Unfalls...