Million-Cool-Roofs
Von dunkel auf hell: Das Anstreichen von Dächern mit lichtreflektierender Farbe gehört zu den einfachsten Maßnahmen gegen Hitzestress.

Kann mit etwas Farbe am Dach die Stromrechnung gesenkt und auch noch der Klimawandel eingedämmt werden? Xiulin Ruan, Professor für Maschinenbau an der Purdue Universität in den USA, ist davon überzeugt. Jahrelang hat er mit seinen Studenten an einer Farbe getüftelt, die schließlich, im April 2021, als „das weißeste Weiß“ vorgestellt wurde. Das Besondere: Die Bariumsulfatpartikel enthaltende Acrylfarbe reflektiert bis zu 98,1 Prozent des Sonnenlichts. 

Xiulin Ruan
In einem Labor der Purdue Universität wurde das Ultraweiß hergestellt. Im Bild: Prof. Xiulin Ruan

Damit beschichtete Dächer bleiben, so die Wissenschafter, auch in der heißesten Mittagssonne kühler als ihre Umgebung, weil die Farbe sogar Wärmestrahlung im Infrarotbereich abgeben kann. Auf rund 90 Quadratmetern Dachfläche entwickle sie eine Kühlleistung von zehn Kilowatt, und dies sei, so Ruan, besser als das, was gängige Klimaanlagen in Wohnhäusern schaffen. 

 

Kühlen ist ein Muss

Das Ultraweiß ist bereits im Guinness Buch der Rekorde zu finden. Sobald der Weg in den Handel geschafft ist, sei viel möglich, so der Erfinder: Nicht nur, dass der Bedarf an Klimaanlagen sinken würde, die Farbe könne sogar die globale Erwärmung umkehren – wenn knapp ein Prozent der Erdoberfläche mit dem neuen Weiß bepinselt würde.

Noch handelt es sich um eine kühne Vision. Eins scheint jedoch gewiss: Der Wunsch nach Kühlung dürfte in den nächsten Jahrzehnten dramatisch zunehmen. Dafür sorgen steigende Temperaturen und eine weltweit wachsende, städtische Bevölkerung, die sich mit der großen Hitze arrangieren muss.

Rund zwei Milliarden Klimageräte liefern heute Gänsehaut auf Knopfdruck, 70 Prozent davon in Wohngebäuden, schätzt die Internationale Energieagentur IEA. Und die Aussichten für die Hersteller scheinen sonnig: Für das Jahr 2050 wird gar ein Bestand von 4,5 Milliarden Geräten prognostiziert, denn vor allem Menschen aus der neuen Mittelschicht von Indien bis Brasilien dürften die Nachfrage befeuern. Es wird ein Boom mit Schattenseiten: Klimaanlagen dürften zu einem Hauptfaktor der globalen Stromnachfrage werden und, da die Geräte bekanntlich auch kräftig Wärme ausstoßen, das Hitzeproblem noch verschlimmern. 

Klimaanlage
Klimaanlagen verbrauchen nicht nur Strom, sondern geben Wärme ab – und verschlimmern damit das Hitzeproblem. Im Bild: Singapur

Wer heute künstlich kühlt, tut dies laut IEA meist mit einem Modell, das „zwei- bis dreimal weniger effizient“ ist als die Klassenbesten. Um Menschen zum Kauf effizienterer Geräte zu bewegen, muss man sich etwas einfallen lassen – wie es beispielsweise Ruanda nun probiert. Das kleine ostafrikanische Land hat mit „R-COOL GO“ vor wenigen Wochen ein neues Finanzierungsprodukt vorgestellt: Lokale Banken bieten attraktive Kredite für den Erwerb effizienter Kühlschränke und Klimaanlagen, die in kleinen Raten abbezahlt werden können. Für viele Ruander wird Kühlung damit überhaupt erstmals leistbar. In Ghana gibt es ein ähnliches Finanzierungsschema.

Zukünftig könnten zudem deutlich leistungsfähigere Anlagen für die frische Brise sorgen. Ein Anstoß dazu kommt von einem von der indischen Regierung mitgetragenen Innovationswettbewerb: Der Global Cooling Prize rief Hersteller dazu auf, Kühltechnologien zu entwickeln, die mit wenig Strom und klimafreundlicheren Kühlmitteln auskommen. 2021 wurden die beiden Gewinner – Gree Electric Appliances aus China und Daikin India – gekürt. Ihnen gelang der Bau von Prototypen, die 80 Prozent weniger Energie als konventionelle Geräte benötigen. Außerdem verwenden sie Kältemittel mit einem niedrigen GWP – das Kürzel steht für Global Warming Potential. Spätestens 2025 sollen die neuen Temperatursenker im Handel sein. 

Runter mit der Hitze

Hunderte Millionen Menschen, die in heißen Ländern und noch dazu in Armut leben, können sich Kühlung nicht leisten. Viele wohnen in dicht besiedelten Stadtvierteln, in denen Hütten schlecht geplant und mit billigen, wärmespeichernden Materialien gebaut sind. „Wenn es heiß wird, decken Bewohner ihre Blechdächer mit Pappe ab und schlafen direkt auf dem Boden“, berichtet der indische Umweltexperte Vivek Gilani, wie Menschen in Pune und Bangalore gegen Hitzestress ankämpfen.

Interview mit Vivek Gilani, Gründer von cBalance in Indien

Vivek Gilani

Die Pappe auf dem heißen Blechdach

Umweltingenieur Vivek Gilani berät indische Bürger, wie sie das Klima schützen können und wie nachhaltige und leistbare Kühlung möglich ist.

Gilani hat das Sozialunternehmen cBalance gegründet, das Familien bei der Umgestaltung ihrer Häuser unterstützt. Dabei setzt er auf simple, passive Kühllösungen, die kaum oder gar keine Energie benötigen. 

Es gibt viele Hacks gegen Hitze: Dazu zählen begrünte Wände und Dächer sowie schattenspendende Konstruktionen, beispielsweise aus Kokospalmenblättern. Zur besseren Luftzirkulation werden Fenster in Wellblechhütten geschnitten, für die Wärmeabschirmung Isolierungen aus alten Kunststoff- oder Aluverpackungen gebastelt. Der Eco-Cooler, eine Erfindung aus Bangladesch, ist ein Wandeinsatz aus halbierten Plastikflaschen. Weht eine Brise in die offenen Flaschen, tritt die Luft auf der anderen Seite gekühlt hinaus. In Hütten sind so bis zu fünf Grad Kühlung möglich – ganz ohne Strom. 

Eco Cooler
Do-it-yourself: Mit einem Einsatz in der Außenwand, in den halbierte Plastikflaschen montiert sind, lassen sich in Innenräumen einige Grade Kühlung erreichen (Foto: Beispiel aus Malaysia)

Weiß für die Welt

Auch das erwähnte Weißeln von Dächern bringt viel, selbst wenn heute erhältliche Farbe maximal 90 Prozent des Lichts zurückwirft und Wärme nicht abgeben kann. Ein Beispiel aus dem „Primer for Cool Cities“-Report der Weltbank macht es deutlich: Treffen Sonnenstrahlen bei Temperaturen von 37 Grad auf ein schwarzes Dach, heizt sich dieses auf bis zu 80 Grad auf, bei einem weißen sind es nur 44 Grad. 

Mit einem hellen Dach lassen sich Innenräume im Schnitt um zwei bis drei Grad kühlen. Je mehr Dächer in der Nachbarschaft Sonnenstrahlen reflektieren, desto kühler wird es auch zwischen den Häusern. In vielen Ländern fehlt aber das Bewusstsein für diese effektive Maßnahme, heißt es von der Clean Cooling Collaborative aus San Francisco. Die philantropische Initiative hat 2019 die Million Cool Roofs Challenge ausgerufen, um kühle Dächer weltweit populär zu machen. Teams aus zehn Ländern – mehrere in Afrika, in Mexiko, Bangladesch, Indonesien und auf den Philippinnen – erhielten je 125.000 Dollar, um Wohnhäuser, Schulen, Fabriken und Spitäler mit solarreflektierenden Beschichtungen upzugraden – und damit, so die Hoffnung, einen Trend anzustoßen.

Million Cool Roofs
Die zehn Teams der Million Cool Roofs Challenge haben 1,1 Millionen Quadratmeter Dachfläche umgefärbt.

Trotz Pandemie wurde in den vergangenen zwei Jahren einiges erreicht: Rund 1,1 Millionen Quadratmeter Dachfläche – das entspricht rund 250.000 kleinen Häusern – wurde umgefärbt. 

Anfang März wurde das Projekt aus Indonesien zum Sieger gekürt, da es laut Jury das beste nachhaltige und skalierbare Modell darstellt. „Wir mussten einige Hürden überwinden, um kühle Dächer nach Indonesien zu bringen“, sagt Projektleiterin Beta Paramita, „dazu gehörten das Auffinden passender Materialien für das tropische Klima, der Aufbau von Wissen um kühlende Farben und die Umsetzung trotz begrenzter Ressourcen.“ 

Mithilfe von Universitäten und Stadtverwaltungen konnte das Team schließlich kühle Dächer auf 70 Wohnhäusern, Schulen und Fabriken in 15 Städten verwirklichen. In Einzelfällen gelangen dabei Temperaturabsenkungen in Innenräumen von beachtlichen zehn Grad. Insgesamt profitieren heute rund 10.000 Menschen von den Maßnahmen. Die Siegerprämie von 750.000 Dollar wird nun in weitere Forschungsarbeit und den Ausbau der eigenen Farbproduktion gesteckt.

Der Faktor Design

Hitzestress müsse schon bei der Planung von Gebäuden berücksichtigt werden, sagt die Architektin Sarah El Battouty. Mit ihrem Beratungsunternehmen ECOnsult setzt sie auf klimagerechtes Wohnen in Ägypten und greift dabei auf traditionelle Kühltechniken zurück. In einem Projekt in der ägyptischen Wüste konnte sie demonstrieren, dass bei geschickter Planung Lebensqualität auch in heißen Zonen ohne Klimagerät erreichbar ist. El Battouty bringt ihre Expertise auch bei einem groß angelegten Infrastrukturprogramm der ägyptischen Regierung ein, mit dem der Lebensstandard in 4.000 Dörfern verbessert werden soll.

Cool gebaut
Kluge Architektur und kühlende Materialen verringern Hitzestress.
Anti-Hitze-Architektur
Auf altbewährte Techniken beim Bau neuer Gebäude setzt die ägyptische Architektin Sarah El Battouty und ihr Beratungsbüro ECOnsult. El Battoutys Ziel ist es, Innenräume ohne Klimaanlagen kühl zu halten. Als wegweisend gilt ihr Wohnhausprojekt Bahareya Village, in dem 150 Landarbeiter des Teeherstellers Royal Herbs leben.
In der Wüstenoase erreichen die Außentemperaturen bis zu 50 Grad. In den Wohnhäusern selbst zeigt das Thermometer angenehme 19 bis 26 Grad. Möglich macht dies ein breiter Mix aus baulichen Maßnahmen: Dazu zählen das Anheben der Gebäudefundamente, die Beschattung durch ausladende Überdachungen, das Nutzen natürlicher Luftströme, lichtreflektierende Dächer und Kalksteinverkleidungen.
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Der Inder Monish Siripurapu tüftelt ebenso an Alternativen und nutzt dabei das Zusammenspiel von Ton und Wasser: Der Architekt (Ant Studio in Neu-Delhi) hat eine ungewöhnliche Terrakottafassade entwickelt, die mit Verdunstungskühlung arbeitet. 

Kühlende Fassade
In Indien werden traditionell Terrakottatöpfe zur Kühlung von Wasser verwendet. Der in Neu-Delhi ansässige Architekt Monish Siripurapu und sein Architekturbüro Ant Studio nutzen das bewährte Material, um Wohnhäuser und Betriebe zu kühlen: Sie haben mit „Beehive“ eine Terrakottafassade entwickelt, die nicht nur ungewöhnlich aussieht.
„Wir nutzen Verdunstungskühlung, indem wir Wasser auf Tongefäße gießen und es zirkulieren lassen.Die Luft strömt durch diese als zylindrische Hohlröhren geformten Töpfe, kühlt dabei den Raum, kommt wieder heraus und gibt keine Wärme ab. Unser System bringt Innentemperaturen mit geringem Stromverbrauch auf 28 Grad“, erklärt Siripurapu.
Weitere Pluspunkte: Die Lebenszyklusanalyse sämtlicher Prozesse und Materialien falle im Vergleich zu üblichen Klimaanlagen vorteilhafter aus. Zudem können die Fassadenelemente von lokalen Handwerkern gefertigt werden.
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Ein pakistanisches Unternehmen setzt wiederum auf Kälte aus der Tiefe: GeoAirCon nutzt die stabilen Temperaturen von 20 bis 22 Grad, die in einer Tiefe von drei bis vier Metern vorherrschen, um Haushalte geothermisch zu kühlen: Dabei zirkuliert Wasser in einem System unterirdischer Leitungen und kühlt so auf natürliche Weise ab. Wieder an die Oberfläche gepumpt, kann das kühle Wasser Räume – bei Außentemperaturen von 40 Grad – auf 28 Grad abkühlen und benötigt dafür laut GeoAirCon 70 Prozent weniger Energie als herkömmliche Klimaanlagen. Der „Lowcost heat exchanger“ kostet im Schnitt 500 Dollar und soll sich – durch vertikale Bauweise – auch in dicht besiedelten Gebieten realisieren lassen. 

Und auch der vielfach prämierte Österreich-Pavillon auf der – soeben zu Ende gegangenen – EXPO 2020 in Dubai nutzte natürliche Temperaturregulierung. Das von Querkraft Architekten kreierte Gebäude erhielt 38 nach oben offene Betonkegel, die den Wind einfangen und für Luftzirkulation sorgen. 

Hitze-Expo-2020-Dubai
Schön kühl: Der Österreich Pavillon auf der EXPO 2020
Hitze-Expo-Austria

So genannte Windfänger sind ein in der Region seit Jahrhunderten eingesetztes Architekturelement, an das man sich nun, in der Diskussion um emissionsfreies Kühlen, wieder öfter erinnert. Neben den Türmen setzten die Architekten auch auf kühlende Lehmbeschichtungen, Pflanzen und ein Wassernebelsystem. Der Pavillon soll um 70 Prozent weniger Energie brauchen als vergleichbare, klimatisierte Gebäude. 

Kühlen als Service

Auf der Suche nach nachhaltiger Kühlung geht es nicht nur um den Menschen. Auch für die Haltbarkeit von Lebensmitteln und medizinischen Produkten ist Kälte oft ein Muss (siehe dazu auch corporAID Artikel „Ungegessen“.) Doch was tun, wenn Kleinbauern und Händlern das Geld für Kühlschränke fehlt oder sie ihre Geräte nur mit Dieselöl betreiben können, da sie fernab eines Stromnetzes leben? Die Antwort darauf könnte „Cooling as a service“ lauten: Bei diesem Geschäftsmodell bezahlen Menschen nur für die Nutzung eines Kühlgeräts. Der Anbieter bleibt Eigentümer und übernimmt dessen Installation und Wartung. 

Solar Freeze revolutioniert auf diese Weise die Kühllagerung in Kenia: Das Unternehmen stellt begehbare Kühlcontainer auf, die mit umweltfreundlicher Solarenergie betrieben werden. Bauern können darin ihre Tomaten und Mangos lagern und bezahlen dafür 40 Cent pro Kiste und Tag – und das, wie in Kenia stark verbreitet, ganz einfach übers Handy.

Auch Koolboks in Nigeria bietet Händlern Kühldienste im Pay-as-you-go-Modell. Zudem hat das Unternehmen im Zuge der Pandemie Impfkühlschränke für die richtige Lagerung von Vakzinen ins Sortiment aufgenommen.

Koolboks
Life is kool! heißt es bei Koolboks. Das Unternehmen stellt in Nigeria Kühlschränke in einem Pay-as-you-go-Modell bereit.

Immer mehr Unternehmen von Indien bis Afrika verbessern so den Zugang zu einem wichtigen Service und verbreiten gleichzeitig klimafreundlichere Kühltechnologien. Eine coole Zukunft ist dabei fast vorprogrammiert.

Fotos: cBalance, Purdue University/Jared Pike, Jasón Sosa Gomez/Échale, Econsult/Ashden, CoolAnt, Idora Baharudin, Expo Austria, Dani Eid/EXPO 2020, Base/Koolboks