corporAID: Wie sehen Sie die Auswirkungen der aktuellen Krise?

Lange: Es gibt sicher Bereiche der Industrie, die durch die Krise sehr stark betroffen waren, zum Beispiel der Tourismus oder die Luftfahrt. Und es gibt andere Bereiche, etwa die Logistik, die von der Pandemie sogar profitiert haben. Auch Innio ist gut durch diese Zeit gekommen. Wir haben zwar nicht das Wachstum hingelegt, das wir uns vorgestellt hatten, haben aber auch keine massiven Einbrüche erlebt. Und wir registrieren jetzt einen Nachholbedarf, sodass wir unsere Zahlen nach oben revidieren konnten. 

Wie beurteilen Sie die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Österreich?

LangeWir fühlen uns in Tirol sehr wohl. Wir schätzen besonders den hohen Ausbildungs- und Motivationsgrad unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Außerdem arbeiten wir mit den Behörden gut zusammen. Darüber hinaus möchte ich die Oesterreichische Kontrollbank und die Exportfinanzierungen positiv erwähnen. Insofern haben wir sehr gute Rahmenbedingungen. Was wir sicherlich spüren, ist der Fachkräftemangel. Wir bilden circa hundert Personen bei Innio Jenbacher aus – rund 30 pro Jahrgang –, und wir merken, dass es schwieriger wird, Fachkräfte zu finden und zu binden. Hier wird das Thema Frauen im Technikberuf immer wichtiger. Ich würde mir wünschen, mehr Frauen für das Unternehmen zu gewinnen, aber das ist für einen klassischen Maschinenbauer nicht ganz so einfach. Und dann kommt in Tirol natürlich noch dazu, dass ich das Vergnügen habe, dort zu arbeiten, wo andere Urlaub machen.

Wir werden die Globalisierung nicht zurückdrehen können, und das ist auch gut so.

Durch die Pandemie ist die Stimmung in Bezug auf die Globalisierung kritischer geworden. Muss Globalisierung neu gedacht werden?

Lange: Wir werden die Globalisierung nicht zurückdrehen können, und das ist auch gut so. Innio hat eine Exportquote von mehr als 95 Prozent. Wir leben und profitieren von der Globalisierung. Ich habe in sieben Ländern gelebt und gearbeitet und ich habe persönlich unglaublich davon profitiert. Und im Endeffekt profitiert die Welt insgesamt von der Globalisierung. Natürlich hat sie letzten Endes auch dazu geführt, dass sich die Pandemie ein Stück weit beschleunigt hat. Wir werden mit diesen Nebenwirkungen aber leben können.

Wie hat die Pandemie Ihre Märkte verändert? Wo sehen Sie die Zukunftsmärkte von Innio? 

Lange: Innio ist ein Wegbereiter und Gestalter der Energiewende. Und hierin hat die Pandemie sicher das Bewusstsein geschärft. Das sehen wir am Green Deal der EU oder erst kürzlich anhand von Fit for 55, also der Ankündigung, die Klimaziele noch einmal zu verschärfen. Das Thema Energiewende wird derzeit mit Investitionen und auch Förderungen vorangetrieben. Wir befinden uns in einer fundamentalen Transformation der Energiebranche. Die gestalten wir mit, und insofern stellt die Situation eine Chance dar. Wir haben vor wenigen Wochen als erster Hersteller unser Produktportfolio für die Verwendung von Wasserstoff qualifiziert: Jenbacher Gasmotoren, die heute mit Erdgas betrieben werden, können das in Zukunft auch mit grünem Wasserstoff. Das ist natürlich nur für die europäischen Märkte relevant. Wir haben auch Kunden in Entwicklungsländern, beispielsweise Textilfabriken in Bangladesch: Die machen sich keine Gedanken über Wasserstoff als Brennstoff für Gasmotoren. Die sind froh, wenn sie verlässlich Erdgas bekommen, damit sie die Fabrik betreiben können, auch wenn das Stromnetz instabil ist. In einem Land wie Bangladesch sind die Herausforderungen also gänzlich andere, und auch diese Kunden wollen wir weiterhin bedienen. Einen gewissen Wohlstand schaffen wir nur, indem sich die Industrie in diesen Ländern weiterentwickelt.

Wir befinden uns in einer fundamentalen Transformation der Energiebranche. Die gestalten wir mit.

Sehen Sie auch afrikanische Länder als Zukunftsmärkte?

Lange: Afrika macht weniger als fünf Prozent unseres Umsatzes aus. Wenn man sich die Sustainable Development Goals anschaut, sieht man, dass rund 750 Millionen Menschen überhaupt keinen Zugang zu Energie haben, drei Viertel dieser Menschen leben in Subsahara-Afrika. Dort hat man eine ganz andere Aufgabenstellung als wir hier in Europa. Da geht es primär darum, überhaupt eine Energieversorgung aufzustellen. Gleichzeitig hat sich beispielsweise Südafrika zum Ziel gesetzt, die Verstromung von Kohle stark zu reduzieren. Und der Abschied von der Kohle in Richtung Gas, das zukünftig auch erneuerbar sein wird, das ist unser Sweet Spot. Allein die Umstellung von Kohle auf Gas kann die CO2-Emissionen um bis zu 75 Prozent reduzieren.

Wo liegen hier die spezifischen Herausforderungen?

Lange: Vorweg: In Schwellen- und Entwicklungsländern arbeiten wir mit Distributoren, die Endkunden sind überwiegend Industriebetriebe. Für die geht es darum, überhaupt einmal an einen verlässlichen Gasanschluss und an ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Betrieb des Gasmotors zu kommen. Zudem müssen sie zumindest einige hunderttausend Euro für eine Anlage in die Hand nehmen, was gerade für solche Kunden oftmals eine große Herausforderung ist – die Exportkreditfinanzierung ist an der Stelle sehr wichtig. Interessanterweise stellen wir fest, dass gerade die Kunden in Entwicklungsländern einen viel attraktiveren Return on Investment erwarten als in unseren Breitengraden, weil dort eine längerfristige Amortisation angesichts von hohen Finanzierungskosten und eines allgemein volatilen Umfelds schwieriger darstellbar ist.

Ihr Shareholder ist ein Investmentfonds. Welche Priorität hat das Thema Nachhaltigkeit für Innio?

Lange: Erst unlängst hat Larry Fink – der CEO von BlackRock, dem größten Vermögensverwalter der Welt – in seinem „Letter to the CEOs“ den Vorständen ins Gewissen geredet, dass es ohne Nachhaltigkeit nicht geht. Ein wesentlicher Grund, weshalb unser Shareholder eingestiegen ist, ist ja die Tatsache, dass wir die Energiewende vorantreiben. Langfristig bin ich davon überzeugt, dass gerade das Thema Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung Hand in Hand gehen. Wenn Sie sich heute umschauen, können Sie sehen, dass Nachhaltigkeit auch für Finanzinvestoren wichtig ist. In unserem Fall ist das ganz bestimmt so.

Da wir keinen Wohlstand auf Basis von Verzicht aufbauen können, müssen wir massiv in Energieeffizienz investieren.

Welche wichtigen Megatrends nehmen Sie wahr?

Lange: Wir sehen seit einigen Jahren drei Megatrends. Ich nenne sie die 3 Ds: Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung. Um bis 2050 klimaneutral zu werden, müssen wir in den nächsten Jahren massive Anstrengungen unternehmen. Aus meiner Sicht wird sich bis 2030 entscheiden, ob wir dieses Ziel erreichen. Da wir keinen Wohlstand auf Basis von Verzicht aufbauen können, müssen wir massiv in Energieeffizienz investieren. Das heißt im Grunde genommen: sinnvoll mit der Energie umzugehen. Zudem müssen wir die erneuerbaren Energien ausbauen. Das passiert, aber nicht schnell genug. Wir wollen ja nicht nur den gesamten bestehenden Stromverbrauch mit erneuerbaren Energien abdecken, sondern zusätzlich auch Teile des Wärmebedarfs. 

2020 wurde Solar- und Windenergie in der Größenordnung von 200 Gigawatt installiert – um die Klimaziele zu erreichen, müsste es bis 2030 jedes Jahr mehr als ein Terawatt sein. Wenn man sich das mal auf der Zunge zergehen lässt: Da müsste praktisch jeden Tag von heute bis 2030 ein Solarkraftwerk in der Größenordnung des aktuell größten Solarparks der Welt, der mit mehr als zwei Gigawatt im Nordwesten Indiens steht, in Betrieb gehen. Diese Erneuerbaren müssen aber auch von netzstabilisierenden Elementen flankiert werden. Vielleicht erinnern Sie sich, dass wir im Jänner dieses Jahres in Europa beinahe einen Blackout hatten, der nicht zuletzt dank rund 4.000 unserer Gasmotoren verhindert werden konnte. 

Dezentralisierung ist bei Erneuerbaren schon von Natur aus gegeben, wenn Sie sich etwa Solar- und Windenergieanlagen im Vergleich zu einem großen Atomkraftwerk ansehen. Und auch die Digitalisierung hat zwei Dimensionen. Auf der einen Seite sehen wir eine steigende Nachfrage, wobei Schätzungen heute schon von bis zu zehn Prozent des weltweiten Energiebedarfs für die Datenspeicherung ausgehen. Auf der anderen Seite führt Digitalisierung durch mehr Effizienz auch zu Einsparungen. 

Was macht die Innovationskraft von Innio aus? 

Lange: Wir haben uns immer schon auf Innovation konzentriert, dadurch die Entwicklung vorangetrieben und unsere Branche maßgeblich mitgestaltet. Darauf sind wir stolz. Wir sind nicht nur beim Wasserstoff Vorreiter, sondern auch bei der Energieeffizienz unserer Motoren. Unsere Innovationen schaffen nicht nur einen Kundennutzen, sondern heben uns letzten Endes auch vom Mitbewerb ab. 

Wie sehen Sie die Wertekultur bei Innio?

Lange: Wichtig ist eine Vision, die eng verlinkt ist mit einem Wertesystem, das vom Management vorgelebt und von der Belegschaft getragen wird. Wir haben nach der Transformation zu Innio mit mehr als 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus aller Welt sechs zentrale Werte formuliert, mit denen sich alle identifizieren können. Allein hier am Standort in Jenbach haben wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus mehr als 40 Nationen. Darauf bin ich stolz, denn Innovationskraft kommt aus meiner Sicht nur zustande, indem Sie offen sind für Vielfalt. Ich sagte eingangs, unser Team ist sehr motiviert – das ist eines unserer wichtigsten Assets. 

Was macht einen Manager erfolgreich? 

Lange: Dazu gehört ein gutes Gespür, wie sich die Märkte entwickeln und welche Möglichkeiten sich dadurch bieten werden. Dazu zählt auch die Umsetzung, also dafür zu sorgen, dass die gesteckten Ziele auch erreicht werden. Und dazu gehört ein starkes Team, mit dem Sie gut kommunizieren und mit Leidenschaft bei der Sache sind. Letzten Endes will ich einen Beitrag leisten, dass wir als Team die Energiewende mitgestalten und eine bessere Welt für die nachkommenden Generationen hinterlassen. Und das motiviert mich jeden Tag auf ein Neues. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person

Carlos Lange ist Präsident und CEO des Energieunternehmens Innio mit Sitz in Tirol. Der 50-jährige gebürtige Argentinier kam im Jahr 2015 als Verantwortlicher für die Geschäftssparte Distributed Power zu General Electric, aus der das Unternehmen Innio hervorgegangen ist. Zuvor war Lange bei Alstom, Lurgi und MDE Dezentrale Energiesysteme tätig. Er hat Maschinenbau und Verfahrenstechnik an der TU München studiert. 

 

Über Innio

Flexible Energielösungen aus Gas

Innio ist ein weltweit führender Spezialist für Gasmotoren und dezentrale Energieerzeugung. Das Unternehmen, das ursprünglich als Jenbacher Werke 1959 gegründet wurde, erhielt nach dem Verkauf an General Electric im Jahr 2003 den Namen GE Jenbacher und wurde 2018, mit der Übernahme durch den Investmentfonds Advent International, in Innio Jenbacher umbenannt. Am Firmensitz im Jenbach (Tirol) und an den zwei weiteren Hauptbetriebsstätten in Welland (Kanada) und Waukesha (USA) arbeiten insgesamt rund 3.500 Mitarbeiter. Die unter den Marken Jenbacher und Waukesha hergestellten Gasmotoren decken einen Leistungsbereich von 200 kW bis 10 MW ab. Rund 53.000 ausgelieferte Gasmotoren erzeugen in mehr als hundert Ländern Strom und Wärme für Unternehmen und Kommunen. Das Unternehmen veröffentlicht keine Finanzkennzahlen. 

Fotos: Gerhard Berger, INNIO