corporAID: Stellt sich Globalisierung nach der Krise anders dar als vor der Pandemie?

Kühner: Aus meiner Sicht nicht. Wenn man bedenkt, welche Herausforderungen diese Krise für die globalen Wertschöpfungsketten bedeutete, dann muss man sagen, dass sich die Globalisierung bewährt hat. Auch für uns gab es zwar Schwierigkeiten mit der Verfügbarkeit von Vorprodukten, aber es war nie so, dass wir sie letztlich nicht bekommen haben. Und bevor gefordert wird, Produktionen wieder nach Europa zurückzuholen, sollten wir erst einmal unsere Hausaufgaben machen. Solange Regierungen – wie beispielsweise die deutsche – Waren, die Österreich bezahlt hat, nicht über die Grenze lassen, brauchen wir nicht über eine europäische Impfstoffproduktion nachdenken. Natürlich kann es grundsätzlich Sinn machen, gewisse Technologien nach Europa zurückzuholen. Aber man sollte nicht damit argumentieren, dass die internationalen Lieferketten in der Krise nicht funktioniert hätten – das Gegenteil war der Fall. 

Wie hat die Pandemie das Business von Greiner beeinflusst?

Kühner: Greiner ist in vier Sparten organisiert, die sich sehr unterschiedlich entwickelt haben. Die Medizintechnik hat ein Umsatzwachstum von mehr als einem Drittel erzielt – überwiegend aufgrund von Corona-Produkten. In der Lebensmittelverpackung lief alles, was direkt in den Einzelhandel geht, sehr gut, und alles, was in die Gastronomie geht, relativ schlecht. Insgesamt sind wir im Verpackungsgeschäft um knapp ein Prozent gewachsen. Gleichzeitig wurde das Automotive- und Aerospace-Geschäft schwer getroffen, letzteres liegt immer noch darnieder. Dazu kamen zu Beginn der Pandemie große Unsicherheiten im Bereich der Logistik. Doch aktuell kommt das Geschäft in vielen Branchen schneller wieder zurück als gedacht, was angesichts von krisenbedingt reduzierten Kapazitäten zu steigenden Preisen führt, wie man beispielsweise praktisch auch bei allen Rohstoffen sieht. 

Wie beeinflussen Krisen die Nachfrage nach Ihren Produkten?

Kühner: Lebensmittelverpackungen, vor allem Joghurtbecher, sind immer noch das Produkt, mit dem wir am stärksten identifiziert werden. Bis vor drei Jahren habe ich das für eine sichere Bank gehalten, weil sich Essgewohnheiten nur langsam verändern. Doch dann haben wir erlebt, dass in der Türkei infolge der Abwertung der Lira plötzlich weniger Joghurt und Ayran gekauft wurde. Das war ein Lerneffekt. Ähnliches sehen wir jetzt in umgekehrter Richtung. In der Pandemie hat niemand etwas gekauft, das nicht in Plastikfolie verpackt war. Die Menschen haben in der Krise realisiert, dass Kunststofffolien nicht primär der Optik dienen, sondern dem Schutz des Inhalts. Und das begrüßen wir. Denn in der Öffentlichkeit wird Kunststoff leider mit Klimawandel gleichgesetzt. Dabei bedeutet mehr Kunststoff auch mehr Klimaschutz – und nicht weniger. Ein Ersetzen von Kunststoffverpackungen durch andere Materialien würde den CO2-Ausstoß um mindestens 60 Prozent steigern, weil Holz, Glas und Aluminium in der Herstellung und Verarbeitung viel energieintensiver sind und zudem ein höheres Gewicht haben. Das Problem ist, dass mehr Kunststoff auch mehr Kunststoffabfall in der Umwelt bedeutet. Und dagegen muss man vorgehen!

Kunststoff wird leider mit Klimawandel gleichgesetzt. Dabei bedeutet mehr Kunststoff auch mehr Klimaschutz – und nicht weniger.

Gewinnt Kunststoff in der Krise?

Kühner: Ich fände es unfair, eine ausgewogene Perspektive auf Kunststoff als Krisengewinn zu sehen. Vor der Pandemie wurde die Diskussion sehr einseitig geführt und dabei übersehen, wozu es Verpackungen überhaupt gibt. Die Aussage: „Wir brauchen kein Plastik“, ist illusorisch, weil ein Leben ohne Plastik auf unserem Wohlstandsniveau nicht vorstellbar ist. Trotzdem muss man Kunststoff dort vermeiden, wo er nicht gebraucht wird. Dem gehen wir auch nicht aus dem Weg. Wir waren eine der ersten Firmen in Österreich, die offensiv an das Thema herangegangen sind, und haben 2015 unsere Plastics for Life Strategie formuliert. Seither beschäftigen wir uns mit der Frage, wie man Kunststoff im Kreislauf führen kann. 

Sie haben also keine Sorge, die Licence to operate zu verlieren?

Kühner: Nein, das sehen wir nicht. Wenn uns gelingt, das, was heute unverzichtbar ist, besser zu machen, dann werden wir Erfolg haben. Ein Beispiel: Was ist der nachhaltigste Weg, eine Tasse Kaffee herzustellen – mit einer Aluminiumkapsel, einer Kunststoffkapsel oder als Filterkaffee? Natürlich sagt jeder: Filterkaffee. Nur stimmt das nicht. Für eine Tasse Kapselkaffee brauchen Sie nämlich nur sechs Gramm Kaffeepulver, für den Filterkaffee durchschnittlich neun Gramm. Es ist egal, welche Kapseln Sie nehmen, den größeren ökologischen Fußabdruck verursacht der Kaffee. Eine fundamentalistische Betrachtungsweise von Nachhaltigkeit macht also keinen Sinn. Wir müssen bessere Wege finden, um die Umwelt weniger zu belasten und unseren Wohlstand nicht zu gefährden. 

Wir müssen bessere Wege finden, um die Umwelt weniger zu belasten und unseren Wohlstand nicht zu gefährden.

Axel Kühner
Braucht Nachhaltigkeit Innovation?

Kühner: Beides gehört zusammen. Deswegen braucht es Innovation, um nachhaltiger zu werden – und umgekehrt. Vor ein paar Jahren konnte man Joghurtbecher nicht wirklich recyclen. Die Abfälle waren für eine Wiederverwendung zu heterogen. Heute schauen wir im Sinne von Design for Recycling, dass Materialien standardisiert werden und damit einen homogenen Stoffstrom bilden. Gleichzeitig verbessern wir die Verarbeitungstechnologie für Polypropylen. Dazu wird in naher Zukunft chemisches Recycling kommen, also das Material wieder in Öl verwandelt, woraus man dann wieder Kunststoff macht. Hier steckt viel Innovation drin.

Wie sehen Sie den Standort Österreich? 

Kühner: Die Rahmenbedingungen sind sehr gut für einen Headquarter-Standort. Gleichzeitig tätigen wir rund 40 Prozent der Investitionen in Österreich, auch ein Großteil unserer Entwicklung findet hier statt. Natürlich gibt es Verbesserungs-potenzial, wenn ich an die Lohnnebenkosten oder die Verfügbarkeit von Fachkräften denke. Wir müssen zudem hart dranbleiben. Man muss sich nur die Entwicklung der chinesischen Patentanmeldungen über die vergangenen zehn Jahre ansehen. Das bedeutet, wir müssen mehr in Bildung investieren, die Vernetzung zwischen Wirtschaft, Universitäten und Forschung priorisieren und uns bewusst dafür entscheiden, nicht als Industriemuseum zu enden. Aber: Greiner ist in fast vierzig Ländern tätig, und im Vergleich steht Österreich nicht schlecht da. Wir haben gute Beziehungen mit der Forschungslandschaft, wir haben exzellent ausgebildete Mitarbeiter. In Summe bin ich vom Standort Österreich überzeugt, nicht nur für Greiner.

Wo erwarten Sie Wachstum?

Kühner: Wachstum findet in den Sparten Schaumstoff, Verpackung und Medizintechnik statt. Die Medizintechnik ist eine kapitalintensive Industrie mit sehr ordentlichen Margen, auch die Verpackungsindustrie hat einen hohen technologischen Anspruch, aber per se nicht so starke Margen. Das Schaumstoffgeschäft ist weniger kapitalintensiv, mit einer durchschnittlichen, stabilen Margensituation. Wir versuchen, die drei Sparten gleichmäßig zu entwickeln. Regionale Schwerpunkte sind im Moment sehr stark die USA und perspektivisch natürlich auch Asien.

Und wie sehen Sie Entwicklungsregionen, beispielsweise Afrika?

Kühner: Afrika ist schwierig, denn die Unterschiede zwischen den Ländern sind so groß wie fast nirgendwo. Und es ist leider so, dass die politischen Systeme auch Entwicklung verhindern. Das führt zu sehr hohen Risiken. Afrika ist aber auch ein Hoffnungsmarkt, wenngleich das noch dauern wird. Wenn man ebenso in Asien investieren kann, ist das natürlich ein vorrangiges Thema. Wir sind auch in Mexiko und Brasilien vertreten. Hier sieht man, welche Auswirkungen politische Führung auf die Wirtschaft hat. Brasilien war vor zehn Jahren ein absolutes Hoffnungsland, heute kämpft es mit enormen Problemen. 

Verlangen diese Märkte nach spezifischen Innovationen?

Kühner: Das ist sicher ein Punkt, wo wir besser werden können. Zum einen denken wir kulturell immer noch sehr stark aus Österreich heraus. Und zum anderen ist es für uns als Anbieter von Premiumprodukten schwierig, Produkte zu schaffen, die „good enough“ sind. Aber genau solche Produkte braucht es in Entwicklungsländern: Deutlich günstiger, qualitativ nicht ganz vergleichbar, aber funktionierend. Bis jetzt schaffen wir es noch nicht, High-End und Low-End gleichzeitig zu denken. Wir müssen künftig dezentraler entwickeln. 

 

Wenn man die eigenen Produkte am Strand findet, dann weiß man, dass man hier etwas tun muss.

Axel Kühner
Welche Rolle spielen die globale Ziele für nachhaltige Entwicklung SDG für Greiner?

Kühner: Die SDG bilden die Grundlage unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Nehmen Sie SDG 14 – Leben unter Wasser: Wenn man die eigenen Produkte am Strand findet, dann weiß man, dass man hier etwas tun muss. Für eine diversifizierte Gruppe wie Greiner gibt es nur wenige Themen, die wie die Nachhaltigkeit alle Bereiche verbinden und wo alle über unser Engagement froh sind. Vor zehn Jahren hatte das Thema nicht diese Bedeutung. Heute muss man genau erklären, welche Antworten man als Unternehmen gibt, um global einen Beitrag zu leisten. Und das ist als Kunststoff produzierendes Unternehmen in den vergangenen Jahren nicht immer einfach gewesen.

Wie sehen Sie die Rolle von Unternehmen, wenn es darum geht, in Entwicklungsregionen etwas beizutragen? 

Kühner: Es spielt für uns eine Rolle, was in diesen Ländern passiert. Wir können ja nicht sagen: Global gesehen kommen nur zwei Prozent der Kunststoffabfälle im Meer aus Europa, es ist also nicht unser Problem. Wir produzieren ja weltweit. Insofern müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie etwa in Indonesien Abfälle ins Meer gelangen. Natürlich wissen wir, dass das passiert, weil es dort kein Abfallwirtschaftssystem gibt. Die Lösung ist aber nicht, dass wir keine Kunststoffverpackungen mehr produzieren, weil das gerade in solchen Ländern dazu führen würde, dass mehr Lebensmittel verderben. Wir unterstützen daher Leuchtturmprojekte, zum Beispiel die Plastic Bank, die Kunststoffabfälle sammeln und einer Weiterverarbeitung zuführen. Damit kann man etwas bewirken, weil es Regierungen zeigt, dass es Lösungen gibt. 

Und welche Bedeutung haben Werte?

Kühner: Werte spielen gerade für ein Familienunternehmen eine riesengroße Rolle. Ich bin als erster familienfremder CEO mit der Mission angetreten: Mache aus uns ein modernes Unternehmen, aber behalte die Werte, die der Eigentümerfamilie wichtig sind! Deswegen reden wir sehr viel über unsere vier Werte Zuverlässigkeit, Offenheit, Streben nach Exzellenz und Wertschätzung. Daraus haben wir in einem weltweiten partizipativen Prozess zehn Führungs- und Kollaborationsprinzipien erarbeitet. Diese sind verbindlich für die gesamte Gruppe, denn wir wollen, dass eine Greiner Kultur spürbar wird. 

Was macht ein Unternehmen zukunftsfähig? 

Kühner: Entscheidend sind Menschen, die positiv denken und versuchen, das, was sie heute machen, morgen besser zu machen und übermorgen überhaupt neue Dinge zu tun. Und eine Unternehmenskultur, die diese Entfaltung ermöglicht.

Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person

Axel Kühner Der 50-jährige Karlsruher ist seit 2009 im Vorstand der Greiner AG, seit 2010 steht er als erster externer CEO an der Spitze des weltweit erfolgreichen Familienunternehmens. Zuvor war der studierte Betriebswirt 15 Jahre lang in verschiedenen Niederlassungen der Daimler AG tätig.

Über Greiner

Global Player aus Kremsmünster

Unternehmenszentrale im oberösterreichischen Kremsmünster

Im Jahr 1868 von Carl Albert Greiner als Kolonial- und Eisenwarengeschäft in Nürtingen (D) gegründet, ist Greiner einer der weltgrößten Anbieter von Kunststoff- und Schaumstofflösungen geworden. Heute besteht das in Kremsmünster (OÖ) ansässige deutsch-österreichische Familienunternehmen aus vier operativen Sparten: Packaging (Kunststoffverpackungen für den Food- und Non-Food-Bereich), Bio-One (Medizintechnik und Life Science), Neveon (Schaumstoffe) sowie Extrusion (Werkzeuge, Maschinen und Komplettanlagen für die Profilextrusion). Mit Innoventures verfügt Greiner seit 2019 zudem über eine hauseigene Innovationsschmiede. Die Gruppe erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2020 mit rund 11.500 Mitarbeitern (davon 2.680 in Österreich) an 139 Standorten in 34 Ländern einen Umsatz von 1,93 Mrd. Euro (plus 15 Prozent im Vergleich zu 2019) – und damit das beste Konzernergebnis in der mehr als 150-jährigen Unternehmensgeschichte. 

Fotos: Mihai M. Mitrea