Eva Schinkinger, CEO der GG Group
Eva Schinkinger, CEO der GG Group
corporAID: Noch ist die Corona-Krise nicht ganz überstanden. Wie wirkte sich die Pandemie auf Ihr Unternehmen aus? 

Eva Schinkinger: Die GG Group beliefert die Automobilindustrie weltweit mit Kabeln und Kabelsätzen. Im März 2020 hat es uns ordentlich durchgeschüttelt, denn bei unseren großen Kunden in China kam es zu Werkschließungen. Infolgedessen sind die Lieferketten brüchig geworden. Alles in allem ist die Welt heute volatiler. Wir haben starke Schwankungen in unseren Kundenbedarfen gesehen, die uns in der Anpassung unserer Kapazitäten sehr gefordert haben. In Österreich und in Tschechien haben wir dann Kurzarbeit in Anspruch genommen und mussten somit keine Werke schließen. Ich würde sagen: Wir sind wirtschaftlich okay durch die Krise gekommen. Was wir immer noch sehen, ist eine hohe Volatilität durch Lieferkettenstörungen. Das ist auch ein Zeichen, dass die Pandemie noch nicht zu Ende ist. 

Muss das Thema Globalisierung infolge der Pandemie neu gedacht werden? 

Schinkinger: Die entscheidende Frage lautet: Sind wir bereit, den kurzfristigen Erfolg für nachhaltiges Wirtschaften zu opfern? Die Globalisierung geht ja davon aus, dass am optimalsten Ort produziert und von dort geliefert wird. In den USA, teilweise auch in Europa, gibt es jetzt in einigen Bereichen große Investitionsvorhaben, um Industrien wiederanzusiedeln oder ihren Ausbau zu fördern. Man sieht das in der Chipindustrie, und vielleicht wird das auch den Gesundheitsbereich betreffen. Dennoch glaube ich nicht, dass es zu einer generellen Reversierung der Globalisierung kommen wird. 

Die entscheidende Frage lautet: Sind wir bereit, den kurzfristigen Erfolg für nachhaltiges Wirtschaften zu opfern?

Die GG Group ist ein international aufgestelltes Unternehmen mit Hauptsitz in Österreich. Wie beurteilen Sie die Rahmenbedingungen? 

Schinkinger: Wir sind ein österreichisches Unternehmen mit österreichischen Eigentümern, wir sind hier tief verwurzelt. Die Rahmenbedingungen sind gut, aber natürlich gibt es Potenzial zur Verbesserung. Dazu gehören sicher die ausbaufähige Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und deren Vernetzung. Oder die hohe Besteuerung des Faktors Arbeit. Und dass wir in der vergangenen Dekade das Thema Bildung nicht so behandelt haben, wie wir es hätten tun müssen. Wir haben hier eine Mehrklassengesellschaft und lassen viele Kinder aus sozial benachteiligten Familien sehenden Auges zurück. Sie erhalten keine Chancen, und dieses Potenzial fehlt uns Unternehmen in der Zukunft. Zudem schaffen wir es nicht, genügend Kinder früh für MINT-Fächer zu begeistern. Hier gibt es zwar Initiativen wie jene der Industriellenvereinigung, aber das muss man viel breiter anlegen. 

Inwiefern ist Ihre Branche von Trends geprägt? 

Schinkinger: Wir sind ein Zulieferer der Automobilindustrie, und dort gibt es aktuell eine Revolution. Es sind gleich vier große Trends wirksam: alternative Antriebssysteme und E-Mobility, autonomes Fahren und Konnektivität, Sharing und Mobility as a Service und nicht zuletzt Nachhaltigkeit, die inzwischen wirklich ein Topthema bei unseren Kunden ist. Diese Revolution wird die Industrie im kommenden Jahrzehnt komplett verändern. Das heißt, Unternehmen, die in den Bereich Verbrennungsmotoren liefern, werden stark an Marktanteilen verlieren. Alle müssen sich jetzt überlegen: Was ist mein Produkt der Zukunft? Wie sieht mein Business Model aus? Wir befinden uns im Gewinnerdrittel, weil Kabel und Leitungen sowohl für die Energie- als auch für die Datenübertragung notwendig sind und wir uns zum Beispiel über höhere Datenübertragungsraten differenzieren können. Das gibt uns zumindest für die nächsten zehn Jahre eine gute Perspektive. 

Eva Schinkinger, GG Group
Eva Schinkinger, GG Group
Wie passen Wachstum und Nachhaltigkeit zusammen? 

Schinkinger: Wir haben Ziele von fünf bis zehn Prozent Umsatzwachstum. Das ist vernünftiges, organisches Wachstum aus eigener Kraft. Und Wachstum kann in Bereichen stattfinden, die Nachhaltigkeit fördern. Wir wollen vor allem bei der E-Mobilität wachsen. Und wir gehen bei den Kabeln schon seit Jahren in Richtung Aluminium. Unser USP sind Aluminiumleitungen für die Energieübertragung. Da Aluminium deutlich leichter ist, sinkt letztlich der Energieverbauch, weshalb die Nachfrage hoch ist.

Wie kommen Nachhaltigkeitsprozesse bei GG in Gang? 

Schinkinger: Wir setzen in Bereichen wie Wiederverwertung und Energiesparen seit Jahren viele Einzelaktionen um. Im nächsten Geschäftsjahr wollen wir eine eigene Nachhaltigkeitsposition schaffen. Damit geben wir dem Thema eine entsprechende Wertigkeit und Sichtbarkeit im Unternehmen. Wir wollen Nachhaltigkeit ganzheitlich in die Unternehmensstrategie einbetten. Dass wir in zwei Jahren das Vorzeigeunternehmen sein werden, wäre aber eine Illusion. Wir wollen jedoch erreichen, dass für jeden Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten erkennbar ist, was unsere Ziele für die Zukunft sind. Mit welchen Maßnahmen wir vorankommen wollen, wie Partnerschaften mit Kunden oder Lieferanten funktionieren sollen. Und dazu gibt es genug Anreize. 

Woran orientieren Sie sich dabei, woher kommt der Druck? 

Schinkinger: Wir orientieren uns grundsätzlich an unseren Kunden, die mitunter große Ziele verfolgen. Druck kommt von allen Seiten, von der Gesellschaft ganz allgemein, von Mitarbeitern und potenziellen Mitarbeitern. Aber auch aus dem Finanzierungsbereich, wo wir mehr Möglichkeiten haben, wenn wir die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen nachweisen können. Bei der Nachhaltigkeit gibt es ein Bündel von Push- und Pull-Faktoren, nicht zuletzt aber auch das eigene Bestreben, das zu wollen. Wenn wir die Energiekosten anschauen, dann ist es absolut rational, Energie zu sparen. Dazu kommen Compliance- oder Governance-Themen. 

Bei der Nachhaltigkeit gibt es ein Bündel von Push- und Pull-Faktoren, nicht zuletzt aber auch das eigene Bestreben, das zu wollen.

Die GG Group ist in puncto Digitalisierung sicher immer schon gut aufgestellt gewesen, hat sich durch Covid dennoch etwas verändert? 

Schinkinger: Ja, absolut. Ich würde sagen, Covid hat das Mindset der Menschen verändert. Wir haben gelernt, wie einfach bestimmte Themen digitalisiert werden können, wenn die Bereitschaft dazu da ist. Wir haben noch viele Potenziale erkannt und dazu „GG goes digital“ aufgesetzt. Wenn wir das so umsetzen, wie wir uns das heute vorstellen, dann werden wir weite Teile des Unternehmens tatsächlich digitalisiert und nicht nur automatisiert haben. Unsere Mitarbeiter werden sich dadurch auf die wirklich wertschöpfenden Tätigkeiten konzentrieren können. Und das wird uns zudem helfen, auf einem heiß umkämpften Arbeitsmarkt attraktiv zu sein – keiner will mit der Technologie von vorgestern arbeiten.

Was macht die Innovationskraft der GG Group aus? 

Schinkinger: Technologie ist immer stark verbunden mit und abhängig von Menschen und deren Ausbildung. Zudem braucht es Austausch, Diskussion, Reibung, Herausforderungen. Wir haben das Innovationsmanagement vor sechs Jahren auf eine sehr breite Basis gestellt, und es hat lange gedauert, bis die Mitarbeiter verstanden haben: Ich bin gefragt und darf etwas beitragen. Wir haben es in den vergangenen zwei Jahren etwas agiler gemacht, um einfacher und schneller zu werden. Wichtig ist neben dieser Breite auch die Vernetzung mit Externen, egal ob das jetzt Lieferanten, Universitäten oder andere Bildungseinrichtungen sind. Wir werden auch unsere Entwicklungsleistungen an unseren Standorten globalisieren und durch Zusammenarbeitstechnologien Kooperation ermöglichen. Gleichzeitig wird Österreich hier in den nächsten Jahren zentral bleiben. 

Innovation findet auch dort statt, wo man Veränderungen hautnah beobachten kann. Wie sieht das im Bereich Mobilität aus? 

Schinkinger: Wir sind Zulieferer und beobachten daher die Märkte und ebenso die etablierten wie auch die neuen Automobilhersteller und deren Technologien. Ob wir dazu selbst in China vor Ort sein müssen? Unser Markt und die dahinterliegenden Technologien sind sehr globalisiert. Wir beobachten die Trends und kristallisieren das für uns Relevante heraus. Dass wir in jedem dieser Märkte vor Ort Produkte entwickeln müssen, glaube ich aber nicht. 

Eva Schinkinger, CEO der GG Group
Eva Schinkinger, CEO der GG Group, im Gespräch mit corporAID
Welche Bedeutung haben internationale Standorte?

Schinkinger: Die drei großen Automobilmärkte sind China, Nordamerika und Europa, in genau dieser Reihenfolge. Deshalb ist auch unser Standort in Mexiko für den nordamerikanischen Markt sehr wichtig und wird immer wichtiger. Wir haben auch in der Republik Moldau einen eigenen Standort mit knapp tausend Mitarbeitern und haben dort gemeinsam mit lokalen Mitarbeitern und Managern sehr gute Erfahrungen gemacht. 

Mit welchen Herausforderungen war die Entwicklung des Standorts in Moldau verbunden? 

Schinkinger: Eine der größten Beschränkungen ist dort die Verfügbarkeit qualifizierter Mitarbeiter. Die Bildungseinrichtungen der Republik Moldau haben seit dem Ende der Sowjetunion stark gelitten. Und wenn Schulen und Universitäten vor allem für technische Berufe nicht ausgestattet sind, wird es schwierig. Deswegen haben wir uns dort, gemeinsam mit anderen internationalen Unternehmen, an einem Fachhochschullehrgang beteiligt, sowohl finanziell als auch mit Praktikumsstellen. Wenn man Wohlstand in einem Land steigern will, hilft es nichts, wenn man lauter ungelernte Kräfte hat.

Wie wichtig sind die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung SDG? 

Schinkinger: Die SDG sind eine wichtige Basis für jede Strategie, ob international, national und für Unternehmen – aber immer auf der Ebene, die man beeinflussen kann. Es muss etwas abgeleitet werden, das greifbar ist und wo wir etwas beitragen können. Nehmen wir das Ziel: Keine Armut. Wenn ich fair und angemessen bezahle, dann unternehme ich etwas gegen Armut. 

Die SDG sind eine wichtige Basis für jede Strategie – aber immer auf der Ebene, die man beeinflussen kann.

Welche Rolle spielen Werte bei der GG Group? 

Schinkinger: Eine große – allein schon, weil wir ein Unternehmen in Familienbesitz sind, das immer in Generationen gedacht hat. Im gesamten Strategieprozess haben wir uns sehr intensiv gefragt: Welche Werte wollen wir vertreten? Heute tragen unsere Besprechungszimmer die Werte als Namen, beispielsweise „Know-how“ oder „The Human Focus“. Und diese Werte versuchen wir auch tagtäglich zu leben. Ich sage nicht, dass es uns hundertprozentig gelingt, aber wir können zufrieden sein.

Was macht ein Unternehmen erfolgreich? 

Schinkinger: Zuallererst muss es kompetitive Produkte für den Markt und für die Kunden haben. Rund um den Wertbeitrag für den Kunden brauche ich ein Business Model: Wie erzeuge ich das? Wie vertreibe ich es? Welche Kostenstruktur habe ich? Und dann braucht man Leidenschaft. Und das auf allen Ebenen, auch als Bestandteil der Unternehmenskultur. 

Noch immer werden nur wenige Technologieunternehmen von Frauen geführt. Führen Frauen anders als Männer? 

Schinkinger: Nein, ich glaube, es führt jeder Einzelne anders. Jeder hat seine Persönlichkeit. Wir sind zu dritt in der Geschäftsführung und drei komplett unterschiedliche Persönlichkeiten. Das ist gut so. Je höher die Diversität, desto besser. Und natürlich fördere ich Frauen. Und ich weise meine Mitarbeiterinnen darauf hin, bestimmte antrainierte Muster zu vermeiden: Wenn etwa Frauen Präsentationen halten, wollen sie Botschaften oft mit einem kleinen Lächeln ein bisschen freundlicher machen. Die Botschaften sind aber nicht immer freundlich und daher muss ich dann auch nicht lächeln. Ich bin überzeugt, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie besser möglich ist, wenn Frauen verstärkt in Aufsichtsräten vertreten sind. Und die benötigen wir, denn wir werden in den nächsten fünf Jahren alle händeringend nach qualifizierten Mitarbeiterinnen suchen. Hier haben wir einen Wettbewerbsvorteil, weil wir schon jetzt beweisen, dass das geht.

Vielen Dank für das Gespräch. 


Zur Person

Eva Schinkinger, 52, ist CEO des österreichischen Kabelherstellers GG Group (Gebauer & Griller). Die Absolventin der Elektrotechnik-HTL und der Wirtschaftsuniversität Wien heuerte unmittelbar nach dem Universitätsabschluss vor 27 Jahren als Assistentin des HR- und Finanzchefs im Unternehmen an. Im Laufe ihrer Karriere übernahm die Wienerin die Leitung der Bereiche Rechnungswesen, HR und Einkauf, bevor sie 2016 zum CEO des bis dahin eigentümergeführten Familienunternehmens bestellt wurde. 

Zum Unternehmen

GG Group: Experte für Energie- und Datenübertragung

GG Group
Unternehmenszentrale in Wien-Döbling

Die GG Group (Gebauer & Griller) ist ein global agierender Kabelhersteller mit Sitz in Wien-Döbling. Ursprünglich im Jahr 1940 als Handelsagentur für Rohstoffe und Halbfabrikate gegründet, hat sich das Unternehmen zu einem führenden Erzeuger von Kabeln, Leitungen und Leitungssätzen für den Automobil- und Industriebereich entwickelt. Unter dem Motto „Wire up the future!“ setzt das Unternehmen auf Innovation mit Fokus auf E-Mobilität, autonomes Fahren und Digitalisierung.Das Hauptwerk der GG Group befindet sich im niederösterreichischen Poysdorf, weitere Produktionsstandorte und Niederlassungen wurden im Laufe der mehr als 80-jährigen Firmengeschichte in Deutschland, Tschechien, Moldau, Mexiko, China und den USA eröffnet. Mit weltweit mehr als 4.000 Mitarbeitern erzielte das Familienunternehmen im Geschäftsjahr 2020/21 einen Umsatz von 471 Millionen Euro. 

 
Fotos: Jennifer Wanderer (3), GG Group