Die Corona-Pandemie löste auf der ganzen Welt Panikkäufe aus – und zwar nicht nur bei Klopapier, Nudeln und Seife im Supermarkt. Auch Masken, Schutzkleidung und Beatmungsgeräte waren heiß umkämpft. Regierungen warteten mitunter wochenlang auf Lieferungen, um ihre Gesundheitssysteme am Laufen zu halten. Und die nächste Shoppingrunde ist schon in Gang: Während Forscher weltweit unter Hochdruck an einem wirksamen Impfstoff gegen den Erreger SARS-CoV-2 arbeiten, erleben wir eine Art Wettrüsten einzelner Länder um genügend Dosen eines noch unbekannten erfolgversprechenden Impfstoffkandidaten mit wenig Rücksicht auf Verluste. Selbst in Sachen Grippeimpfstoff besteht die Sorge, dieser könnte im Herbst zur Mangelware werden, auch wenn die österreichische Bundesregierung die Beschaffungsmenge gegenüber den Vorjahren deutlich erhöht hat.

Im Dschungel

Wer wann welchen Impfstoff zu welchem Preis bekommt? Diese Frage rückt erst bei (drohender) Versorgungsknappheit ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die weltweite Nachfrage nach Vakzinen belief sich im Jahr 2018 auf rund 3,5 Milliarden Dosen und stieg im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 20 Prozent – stark getrieben durch groß angelegte Impfkampagnen in Indien und die allgemein wachsende Nachfrage in Südostasien und Afrika.

Sieht man sich den globalen Markt für Impfstoffe genauer an, wird schnell klar: Transparenz sieht anders aus. Auf der einen Seite stehen ein Großteil der Industriestaaten, die – in der Regel der Geheimhaltung unterliegende – Einzelverträge und -konditionen mit Pharmakonzernen aushandeln. Länder mit hohen Einkommen sind wesentlicher Treiber des globalen Marktes für Impfstoffe, dessen Wert auf 26 Mrd. Dollar geschätzt wird: Sie zahlen meist die höchsten Preise und wählen zudem oft kostenintensivere Impfstoffe, die beispielsweise nebenwirkungsärmer sind oder mit weniger Teilimpfungen einen wirksamen Impfschutz bieten. Auf der anderen Seite stehen Entwicklungsländer, deren Verhandlungsposition durch begrenzte finanzielle Ressourcen und Marktgewicht in der Regel eine deutlich schlechtere ist. Gerade neue Impfstoffe sind bei ihrer Einführung teuer. Zudem treten manche Krankheiten überwiegend in ärmeren Ländern auf, diese haben daher einen teils anderen Impfstoffbedarf als Industriestaaten. Hinzu kommen spezielle Anforderungen an die Lagerungsfähigkeit und Verabreichungsform der Vakzine, um diese selbst in die entlegensten Regionen bringen zu können.

Impfschutz für alle

Zu den weltweit verbreitetsten Basisimpfungen zählen heute unter anderem jene gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Hepatitis B und Haemophilus influenzae Typ B sowie Vakzine gegen Rotaviren, Pneumokokken, Polio, Masern und Röteln. „Es sind meist die reichen Länder, die Innovationen in diesem Bereich vorantreiben und signalisieren, was sie bereit sind dafür zu bezahlen,“ sagt Kalipso Chalkidou vom US-Think Tank Center for Global Development. Für viele Konzerne ist es kaum möglich, Vakzine ausschließlich für ärmere Länder zu entwickeln und anzubieten – diese werden entweder zu vergleichsweise hohen Preisen bereitgestellt oder erst gar nicht zu Ende erforscht. Um dem entgegenzuwirken, setzen die Hersteller auf sogenanntes Tiered Pricing. Vereinfacht gesagt bedeutet das höhere Preise in Industrieländern, die auch die Forschungs- und Entwicklungskosten eines Produkts abdecken, und niedrigere Preise in Entwicklungsländern, die nur die unmittelbaren Produktionskosten decken. 

Erschwingliche Preise für die gängigsten Vakzine sind in jedem Fall eine wichtige Voraussetzung für die Erhöhung der weltweiten Durchimpfungsrate: Diese stagniert seit zehn Jahren bei 85 Prozent und variiert besonders in bevölkerungsreichen Ländern stark. Zudem zeigen jüngste Daten, dass Routineimpfkampagnen in rund 70 Ländern aufgrund von Covid-19 unterbrochen sind und heuer etwa 80 Millionen Kinder unter einem Jahr Basisimpfungen nicht erhalten werden.

Interview mit Kalipso Chalkidou, Center for Global Development

Kalipso Chalkidou, Center for Global Development

Klare Signale

Global Health-Expertin Kalipso Chalkidou fordert mehr Transparenz und Sorgfalt in den aktuellen Bemühungen um einen Covid-19-Impfstoff.

Marktgestalter

Ein Schlüsselakteur, der für die Interessen von Entwicklungsländern in puncto Impfstoffe eintritt, ist die Impfallianz Gavi, ein weltweiter Zusammenschluss von Regierungen, öffentlichen und privaten Organisationen (siehe Kasten). Gavi bietet ärmeren Ländern finanzielle Unterstützung für Impfkampagnen und die Beschaffung von Impfstoffen. Durch die Bündelung der Nachfrage vieler Entwicklungsländer und die Sicherstellung der dafür nötigen Finanzierung reduziert die Impfallianz kommerzielle Risiken für Impfstoffhersteller und attraktiviert diesen Markt damit deutlich. Zudem kann Gavi auf diese Weise bessere Preise aushandeln und damit die Kosten für Impfstoffe kontinuierlich senken. So beliefen sich etwa Ende 2018 die Kosten für die grundlegende Immunisierung eines Kindes auf rund 16 Dollar, das sind um 21 Prozent weniger als noch im Jahr 2015. Aktuell fördert Gavi den Einsatz von 17 Impfstoffen.

Ein Kind erhält eine Impfung in einem Gesundheitszentrum in Venezuela.
Impfen trotz Covid-19: Um Gesundheitssysteme in der Krise zu stärken, hat Gavi 200 Mio. Dollar bereitgestellt. Im Bild: ein Gesundheitszentrum in Venezuela

Das Besondere daran: Alle von Gavi unterstützten Länder müssen sich an den Kosten der Impfstoffe beteiligen – mit dem langfristigen Ziel, mit zunehmender Wirtschaftsleistung immer unabhängiger von internationaler Hilfe eine hohe Impfrate aufrechtzuerhalten und den Zugang zu lebensrettenden Impfstoffen gewährleisten zu können. 16 Länder – darunter Angola, Bolivien, Georgien, Indonesien oder Sri Lanka – haben diesen „Absolventenstatus“ inzwischen erreicht und können ihre Impfprogramme komplett selbst finanzieren. Doch die ganz große Abschlussfeier steht noch aus. Viele der gewichtigsten Empfänger von Gavi-Geldern, etwa Indien, Pakistan und Nigeria, werden voraussichtlich bis 2030 in die Eigenfinanzierung entlassen. Schon heute zeigen die Zahlen, dass Gavi bei ihrem Kernanliegen erfolgreich war: Lag die Durchimpfungsrate beispielsweise für Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten (DTP3) in Subsahara-Afrika vor 20 Jahren noch bei 51 Prozent, ist diese bis 2019 auf immerhin 73 Prozent gestiegen.

Better together

Dass der Kreis der unterstützten Länder – wohlgemerkt dank steigendem Wohlstand – sinkt, stellt die Impfallianz allerdings vor eine Herausforderung. „Je mehr Länder die Förderfähigkeit verlieren und den Gavi-Pool verlassen, umso schwieriger wird es, die einzigartige Marktposition zu halten“, so Chalkidou. Zudem bedeutet der Verlust der Förderfähigkeit durch Gavi noch lange nicht, dass Immunisierungsziele auch erreicht wurden. So lag die Durchimpfungsrate für Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten in Indien 2019 zwar bei beachtlichen 91 Prozent. Pakistan und Nigeria liegen mit 75 bzw. 57 Prozent aber deutlich dahinter. Um kontinuierliche Immunisierungsfortschritte nicht zu gefährden, erhalten Länder auch nach Auslaufen der Unterstützung durch Gavi für bestimmte Impfstoffe niedrige Preise, dazu haben sich eine Reihe von Herstellern zu einer Übergangsfrist verpflichtet. Auf lange Sicht zahlen diese Länder für Impfstoffe dennoch in jedem Fall höhere Preise (siehe Grafik), wobei Selbstbeschaffer auch noch mit einer sehr volatilen Preisgestaltung konfrontiert sind, die stark von Faktoren wie der Anzahl der Hersteller, dem Auftragsvolumen und der Vertragsdauer abhängt.

In Zahlen

Preisgefälle

Die Kosten für Impfstoffe variieren stark zwischen Selbstbeschaffern und Ländern, die Vakzine über Beschaffungsplattformen beziehen. Gavi-Länder erhalten den niedrigsten Marktpreis (in US-Dollar) pro Impfdosis.

Grafik zu durchschnittlichen Impfstoffpreisen 2018

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Die meisten durch Gavi geförderten Länder beziehen Impfstoffe über das Beschaffungssystem des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen Unicef, das eine Vielzahl von Schwellen- und Entwicklungsländern mit medizinischen Produkten und Equipment versorgt und zumeist die niedrigsten Marktpreise für viele dieser Waren erzielt. Im Jahr 2019 beschaffte Unicef 2,43 Milliarden Impfstoffdosen für mehr als 1,6 Mrd. Dollar im Namen von 99 Ländern. Auch die Panamerikanische Gesundheitsorganisation PAHO, das WHO-Regionalbüro für Gesamtamerika, unterhält ein gemeinsames Beschaffungssystem, an dem 41 Länder Lateinamerikas und der Karibik beteiligt sind. Auf EU-Ebene gibt es seit 2014 ähnliche Bestrebungen für einen solchen Beschaffungsmechanismus für medizinische Gegenmaßnahmen, doch erst die Coronakrise brachte richtig Wind in die Sache: Mittlerweile haben alle EU-Staaten und EWR-Länder sowie Großbritannien, Albanien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, Bosnien und Herzegowina sowie Kosovo die Vereinbarung unterzeichnet. Denn auch wenn Staaten ein berechtigtes Interesse daran haben, primär ihre eigene Bevölkerung zu schützen, macht die Bündelung von Nachfrage in jedem Fall ökonomisch Sinn.

Solidarität in der Krise

Auch im aktuellen Fall der Covid-19-Impfung würde ein globales Bieterrennen um Impfstoffkandidaten nicht nur die Preise in die Höhe treiben, sondern zudem erhebliche Lücken in der weltweiten Immunität gegen den Erreger SARS-CoV-2 entstehen lassen und damit erneute Krankheitsausbrüche begünstigen, sind sich internationale Gesundheitsexperten einig. In der Debatte um eine gerechte Verteilung von Covid-19-Impfstoffen wirbt Gavi-CEO Seth Berkley daher unermüdlich für ein multilaterales Vorgehen. Gavi hat dafür gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations CEPI, einer weltweiten Allianz zur Impfstoffentwicklung, ein Marktanreizprogramm in die Wege geleitet, das die Versorgung aller teilnehmenden, aber insbesondere ärmerer Länder sicherstellen soll – den sogenannten Covax-Mechanismus. 

Vorbild dafür ist das Pneumococcal Advance Market Commitment AMC, das 2009 gezielt Gelder für die Entwicklung und Herstellung neuer Pneumokokken-Impfstoffe poolte, um Herstellern über Abnahmegarantien Anreize für eine rasche Ausweitung ihrer Produktionskapazitäten zu bieten und die Risiken der Impfstoffentwicklung zu teilen. Durch das AMC konnten rund 60 Länder binnen nur neun Jahren einen Pneumokokken-Impfstoff zu einem Preis einführen, der mit 2,90 Dollar weniger als fünf Prozent des Listenpreises in den USA entspricht. Neben Pfizer und Glaxo-SmithKline stellt mit dem Serum Institute of India seit diesem Jahr auch erstmalig ein Hersteller aus einem Schwellenland den Impfstoff im Rahmen des AMC bereit.

Damit ein solches Modell auch für einen künftigen Covid-19-Impfstoff funktionieren kann, braucht es möglichst viele Mitstreiter – sowohl von Seiten der Regierungen als auch der Impfstoffhersteller. Bisher haben 173 Länder am Covax-Mechanismus Interesse gezeigt. Der Vorteil: Statt nur auf einen Impfstoff setzt der Covax-Mechanismus auf insgesamt neun Impfstoffkandidaten, deren Entwicklungs- und Herstellungsprozess unterstützt werden und am Ende mindestens einer in Massenproduktion gehen soll. Durch Covax sollen bis Ende 2021 zwei Milliarden Dosen eines sicheren, wirksamen Impfstoffs bereitgestellt werden. Und so ein globales Problem auch auf globale Art und Weise gelöst werden.

Auf einen Blick

Impfadvokat seit zwanzig Jahren

Die Impfallianz Gavi unterstützt seit zwei Jahrzehnten Entwicklungsländer dabei, Kinder vor vermeidbaren, lebensbedrohlichen Krankheiten zu schützen. 
Seth Berkley, Gavi-CEO
Der Gavi-CEO Seth Berkley bei der Impfkonferenz im Juni 2020

Gavi wurde im Jahr 2000 am Weltwirtschaftsforum in Davos gegründet, um den Zugang zu Impfungen in Ländern mit niedrigem Einkommen zu verbessern. Die öffentlich-private Partnerschaft unterstützt Länder mit einem durchschnittlichen Bruttonationaleinkommen von weniger als 1.630 Dollar pro Kopf – aktuell sind damit 58 Länder förderfähig. Bis Ende 2018 wurden mit Hilfe von Gavi nach eigenen Angaben 760 Millionen Kinder weltweit geimpft und damit langfristig 13 Millionen Menschen das Leben gerettet. Im Zeitraum 2016–2020 betrug das Gesamtbudget von Gavi 7,5 Mrd. Dollar, bei der Impfkonferenz im Juni diesen Jahres wurden Finanzierungszusagen in Höhe von 8,8 Mrd. Dollar für 2021–2025 getätigt. Größte Geber sind mit Abstand Großbritannien, die Bill & Melinda Gates Foundation und die USA – sie steuern mehr als die Hälfte des Gesamtbudgets bei. Österreich leistet keine Zahlungen an die Impfallianz.

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Fotos: UNICEF/Nahom Tesfaye, Unicef/ William Urdaneta, GAVI/ Benedikt v. Loebell