corporAID: Die österreichische Wirtschaft macht gerade die größte Krise seit Jahrzehnten durch. Wie sind die unterschiedlichen Geschäftsbereiche von Fronius betroffen? 

Engelbrechtsmüller-Strauß: Dieses Jahr hat viel verändert, aber unbestritten bleibt: Als österreichisches Unternehmen können wir nur über Export und Internationalisierung beständig wachsen. Es hat sich bewährt, dass wir mit unseren Absatzmärkten global und ausgewogen aufgestellt sind und zusätzlich mit den drei Business Units unterschiedliche Märkte bedienen. Ein Nachfragerückgang in einer Region wurde so ganz gut durch eine stabile Nachfrage in anderen Ländern abgefedert. Trotzdem ist Fronius natürlich betroffen. Ganz stark gespürt haben wir die Coronakrise hinsichtlich der Nachfrage in den Bereichen Schweißtechnik und Batterieladesysteme, da wir hier stark im B2B-Bereich und insbesondere als Ausstatter in der Automobilindustrie tätig sind. Im Bereich Solarenergie hingegen, wo wir Inverter produzieren, die den von Solarmodulen erzeugten Gleichstrom in Wechselstrom umwandeln, haben uns zuvorderst die Disruptionen am Beschaffungsmarkt getroffen. Fronius ist ja ein global aufgestelltes Unternehmen, das zum Großteil in Österreich fertigt. Aber wir sourcen natürlich Bauteile aus verschiedenen Ländern. Diese Lieferketten aufrechtzuerhalten war sehr herausfordernd. Zwar haben wir im Lieferantenmanagement schon vor Covid-19 so weit wie möglich eine Second-Source-Strategie verfolgt. Das heißt beispielsweise, dass wir aus Indien Bauteile beziehen, für diese aber auch einen Lieferanten in Italien haben. Durch die Lockdowns im Frühjahr waren dann jedoch leider sowohl Indien als auch Italien betroffen. 

Elisabeth Engelbrechtsmüller-Strauß-Strauß, Fronius

Als österreichisches Unternehmen können wir nur über Export und Internationalisierung beständig wachsen.

Wie sehen Sie die Rahmenbedingungen, um von Österreich aus die ganze Welt zu bedienen?

Engelbrechtsmüller-Strauß: Wir positionieren uns als Innovationsführer und Qualitätsführer, nicht als Kostenführer. Das ist eine wesentliche Voraussetzung, um in Österreich produzieren zu können. Gleichzeitig ist es notwendig, dass wir in der Fertigung laufend effizienter werden. Das geht nur mit sehr gut ausgebildeten Mitarbeitern. Und in dieser Hinsicht ist Österreich ein guter Standort. Verbesserungspotenzial gibt es aber allemal, und das kann ich nicht oft genug betonen: Ganz zentral ist Bildung. Ein Wachstumshemmer in Österreich und insbesondere hier in Oberösterreich ist die Tatsache, dass die Nachfrage nach Fachkräften größer ist als das Angebot – sogar in Zeiten von Corona. Daher setzen wir selbst viele Maßnahmen, um vor allem auch im digitalen Umfeld Fachpersonal auszubilden. Was uns zudem helfen würde, wäre ein Bürokratieabbau, damit wir bei vielen Themen einfach schneller sein können.

Wie verändern sich Ihre Märkte durch die Krise? Bewerten Sie Schwellen- und Entwicklungsländer heute anders als vor zwei Jahren? 

Engelbrechtsmüller-Strauß: Schwellen- und Entwicklungsländer sind insbesondere im Bereich Solarenergie interessant. Die Photovoltaik macht ja vor allem in Ländern Sinn, wo die Sonneneinstrahlung das ganze Jahr über stark ist, die Energiekosten hoch sind und gleichzeitig ein großer Energiehunger herrscht. Um die Energieversorgung in solchen Ländern zu verbessern, ist es sinnvoll, nicht in fossile Energieträger, sondern gleich in Photovoltaik zu investieren. Und an diesem enormen Potenzial hat auch das Coronavirus nichts geändert. Wir haben heuer in Ägypten einen Standort eröffnet, um von dort aus technischen Support für die Region Nordafrika zu leisten. Natürlich gibt es Ausnahmen: Brasilien ist für die Business Unit Solarenergie ein wichtiger Markt, weil dort ebenfalls gute Voraussetzungen für Photovoltaik-Lösungen bestehen. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind jedoch herausfordernd: Durch die hohen Infektionszahlen und den strengen Lockdown ist die Nachfrage stark zurückgegangen. Aber wir werden trotzdem weiter in Brasilien tätig sein und glauben an eine Erholung im kommenden Jahr. 

Und wo liegen die zukünftigen Wachstumsmärkte von Fronius?

Engelbrechtsmüller-Strauß: Unsere Wachstumsmärkte sind überall. Selbst Europa ist dank dem Green Deal ein Wachstumsmarkt, da im Sektor Erneuerbare Energie weiterhin viel investiert wird. Aber gleichzeitig wird in Europa auch die Industrie weiter dazugehören, weil wir die nötige Innovationskraft haben und deswegen auch die Möglichkeit schaffen, neue Technologien einzusetzen. Natürlich gibt es auch große Wachstumsmärkte in Asien. Indien ist zum Beispiel ein sehr interessanter Markt für die Schweißtechnik-Sparte, da dort viel in Hochtechnologie investiert wird. In China haben wir auch eine ganz wichtige Tochtergesellschaft, allerdings nur im Bereich der Schweißtechnik und Batterieladesysteme. Der chinesische Energiesektor ist stark subventioniert, dadurch ist es dort fast unmöglich, als europäischer Anbieter zu reüssieren. Neben Indien und China gehören aber auch Thailand und Australien sowie der gesamte amerikanische Kontinent zu den Märkten mit Potenzial. Afrika hingegen ist mittelfristig eher ein Markt, der weiter zu beobachten ist.

Welche sind die Megatrends, die Ihr Unternehmen Fronius bestimmen?

Engelbrechtsmüller-Strauß: Es gibt zwei relevante Megatrends. Das ist einerseits die Digitalisierung. Diese ermöglicht uns neue Fertigungsverfahren. Das ist meines Erachtens die große Chance, um weiterhin in Europa kompetitiv fertigen zu können. Zudem bietet die Digitalisierung viele Möglichkeiten in der Entwicklung von Produkten sowie neuer Geschäfts- und Vertriebsmodelle. Hier erwarte ich allumfassende Änderungen und Chancen, und ich glaube, wir stehen hier eher noch am Anfang. Das zweite große Thema ist Nachhaltigkeit. Dieses wird uns auch weiter intensiv beschäftigen, denn wenn wir Schlagwörter wie Klimaschutz und CO2-Neutralität ernst nehmen und gleichzeitig unseren Lebensstandard halten wollen, muss die Industrie Lösungen bringen. Und das wird uns stark begleiten in Europa.

Ich glaube, dass Wachstum Sinn machen und gut zur Nachhaltigkeit passen kann.

Wie sehen Sie den Zusammenhang zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit?

Engelbrechtsmüller-Strauß: Nachhaltigkeit hat ja mehrere Dimensionen. Das eine ist die wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Aktuell sind Start-ups sehr in Mode, ich bin aber überzeugt davon, dass Unternehmen ihren Wert haben, die nicht gleich verkauft werden, sondern eine Geschichte haben und sich weiterentwickeln. Uns ist wichtig, aus eigener Kraft zu wachsen, damit es uns auch in den nächsten Jahrzehnten noch gibt. Das andere sind die ökologische und die soziale Nachhaltigkeit, also was im klassischen Sinn unter Nachhaltigkeit verstanden wird. Diese Aspekte sind sehr stark in unserem Mindset verankert. Fronius wurde 1945 aus einem Nachhaltigkeitsgedanken heraus gegründet: Damals gab es wenig funktionierende Autobatterien, mein Großvater wollte ein Gerät entwickeln, das Batterien aufladen kann, sodass diese wiederverwendet werden können. Dieser Grundgedanke trägt uns generell als Unternehmen vom Produktdesign bis hin zur Produktion. Wir überlegen: Wie können wir mit unserer Technologie den Energieverbrauch unserer Produkte reduzieren? Welche Materialien setzen wir ein? Wie können wir unseren CO2-Fußabdruck in der Produktion bestmöglich reduzieren? Wir sehen Nachhaltigkeit als große Chance und richten uns als Unternehmen dahingehend aus – etwa, indem wir mehr Photovoltaik-Wechselrichter herstellen. Ich glaube, dass Wachstum Sinn machen und gut zur Nachhaltigkeit passen kann. 

Tun sich Familienunternehmen mit Wachstum schwerer als börsennotierte Unternehmen?

Engelbrechtsmüller-Strauß: Das würde ich nicht so sehen. Mir ist es wichtig, als Familienunternehmen unabhängig zu bleiben. Das gibt uns die Möglichkeit, Dinge selbst zu entscheiden. Viele Innovationen sind nur in einem Unternehmen wie dem unseren möglich, weil sie einen langen Atem brauchen und nicht immer die Frage im Raum steht, wo der unmittelbare Return on Investment liegt. Nur dank dieses Muts haben wir zum Beispiel mit unserem speziellen CMT-Schweißprozess, den wir vor 15 Jahren eingeführt haben, noch immer einen Technologievorsprung gegenüber unseren Mitbewerbern. So eine herausragende Marktleistung schafft man manchmal nur, wenn man einen langen Atem hat und eine gewisse Unabhängigkeit. 

Und doch spielt sich vieles an Innovationsprozessen zunehmend in China ab. Wird die Bedeutung von Österreich als Innovationsstandort abnehmen?

Engelbrechtsmüller-Strauß: Nein, für Fronius nicht. Wir haben die wesentliche Kernkompetenz in Österreich und ein gutes Zusammenspiel zwischen lokaler Fertigung und Innovation. Das soll aber nicht heißen, dass alles in Österreich stattfinden muss, denn generell ist es natürlich wichtig, auch in Ländern wie China und Indien präsent zu sein, um lokale Trends und Entwicklungen zu verfolgen. Wir können uns nicht in eine Blase begeben und sagen, Österreich über alles oder Europa über alles, sondern wir müssen mit offenen Augen durch die Welt gehen. Daher gibt es hier immer wieder Dezentralisierungen, aber immer im Zusammenspiel mit dem großen Ganzen.

Elisabeth Engelbrechtsmüller-Strauß, Fronius

Wenn Indien unsere erste Tochter gewesen wäre, dann wäre es auch die letzte geblieben, so bürokratisch und mühselig war das.

Was sind die großen Herausforderungen in Emerging Markets?

Engelbrechtsmüller-Strauß: Eindeutig die Bürokratie. In den Achtzigerjahren waren wir ein rein oberösterreichisches Unternehmen. In einer ersten Internationalisierungswelle sind wir dann nach Europa und Nordamerika gegangen, in letzter Zeit zunehmend auch nach Asien. 2014 haben wir in Indien eine Tochtergesellschaft gegründet. Wenn Indien unsere erste Tochter gewesen wäre, dann wäre es auch die letzte geblieben, so bürokratisch und mühselig war das. Hier hilft einem die Erfahrung sehr: Wir haben mittlerweile mehr als 30 Tochtergesellschaften gegründet und wissen, wie man mit vielen Hürden umgehen kann. Das A und O sind vertrauenswürdige Leute vor Ort, die die lokalen Rahmenbedingungen kennen und sich in diesen zurechtfinden. Zudem braucht es eine klare Steuerung und eine gute Anbindung der Töchter an die Muttergesellschaft. In der Anfangsphase macht es da schon Sinn, Mitarbeiter aus Österreich zu entsenden, die auch als Kulturträger fungieren. Eine zentrale Herausforderung bei der Internationalisierung liegt darin, dieses Wachstum auch wirklich zu stemmen, indem man die Mitarbeiter gut integriert und die Unternehmenskultur bewahrt. Und das ist nicht selbstverständlich. Stellen Sie sich vor: Als ich vor ein paar Jahren unser indisches Tochterunternehmen besuchte, musste ich feststellen, dass dort keine einzige Frau arbeitete – ich war entsetzt. Seither meldet mir der Geschäftsführer stets, wenn er wieder eine Frau eingestellt hat. Das trägt auch zu Entwicklung bei – wenn auch im Kleinen. 

Was macht eine Unternehmerin erfolgreich? 

Engelbrechtsmüller-Strauß: Ein guter Unternehmer – egal ob Mann oder Frau – muss mutig sein und offen für Neues. Wichtig sind auch Kreativität und die Perspektive, in Herausforderungen nicht primär Bedrohungen, sondern Chancen zu sehen. Kurz gesagt: ein optimistischer Blick. Ein guter Unternehmer legt außerdem Wert auf die Entwicklung seiner Mitarbeiter und schafft dafür entsprechende Rahmenbedingungen. Und er agiert motivierend, indem er an das gesamte Team signalisiert: Wir sitzen alle im selben Boot und ziehen an einem Strang. 

Was ist Ihr großes Anliegen in der Führung von Fronius? Was treibt Sie an?

Engelbrechtsmüller-Strauß: Es gefällt mir, bei Fronius zu arbeiten. Wir sind ein cooles Team und haben coole Produkte. Was mich antreibt, ist die Innovationskraft des Unternehmens. Und ich möchte, dass wir diesen Spirit bewahren. Und dass wir den Kern eines Familienunternehmens behalten, auch wenn wir jetzt viel größer sind und weit über 5.000 Mitarbeiter haben. Wenn ich heute unsere Tochtergesellschaften besuche, dann spüre ich Fronius. Und das sind unsere Werte und die Kultur, wie wir miteinander umgehen. Natürlich ist Wachstum notwendig, damit wir unsere Ideen umsetzen können. Aber vor allem möchte ich das, was geschaffen wurde, bewahren und darauf weiter aufbauen. Und wenn wir das schaffen, bin ich zufrieden. Es macht Sinn, dafür zu arbeiten.

Vielen Dank für das Gespräch.
 

ZUR PERSON

Elisabeth Engelbrechtsmüller-Strauß übernahm 2012 in dritter Generation die Geschäftsführung der Fronius International GmbH. Die 49-Jährige studierte Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien und verantwortete viele Jahre das Rechnungswesen des Unternehmens, bevor sie 2008 zur CFO bestellt wurde. 2019 wurde sie als erste weibliche Vizepräsidentin in das Präsidium der Industriellenvereinigung Oberösterreich gewählt.

ÜBER FRONIUS

Innovationsführer mit starken Wurzeln

Fronius Zentrale Pettenbach
Fronius Firmenzentrale in Pettenbach

Das oberösterreichische Familienunternehmen Fronius wurde 1945 als Fachreparaturwerkstätte für Radio- und Elektrotechnik gegründet und entwickelte sich bereits in den 1950er Jahren zum Technologieführer im Bereich Schweiß- und Batterieladetechnik. Seit 1992 setzt das Unternehmen zudem mit der Produktion von Wechselrichtern für Photovoltaikanlagen auf das Zukunftsthema Sonnenenergie, zuletzt war die Solar Energy Sparte größter Wachstumstreiber. Heute ist Fronius mit den drei Business Units Batterieladetechnik, Schweißtechnik und Solarenergie breit aufgestellt und mit einer Exportquote von 93 Prozent und 34 Tochtergesellschaften auf fünf Kontinenten ein wahrer Global Player. Produziert wird nach wie vor hauptsächlich in Pettenbach und Sattledt sowie im tschechischen Krumau, weitere heimische Fronius-Standorte gibt es in Steinhaus, Thalheim und Wels. Im aktuell 75. Bestandsjahr zählt das Unternehmen mehr als 5.400 Mitarbeiter und erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2019 einen Umsatz von 856 Mio. Euro.

Fotos: Fronius International GmbH