Leitartikel

Fantastillionen

Christoph Eder, corporAID

Ausgabe 89 – Winter 2020

Christoph Eder, Chefredakteur des corporAID Magazin
Christoph Eder, Chefredakteur

Die durch die Pandemie ausgelöste gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Krise wird uns gewiss noch lange beschäftigen. Wenn man vielen vernünftigen Menschen Glauben schenkt, ist das aber nur ein Vorgeschmack auf die Folgen, die ein unvermindert fortschreitender Klimawandel haben wird. Im Wissen um all das bislang schwer Vorstellbare, das in der Coronakrise zu Tage trat, sollte also dringend etwas unternommen werden, um die globalen CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren. 

Bislang lag die Betonung primär auf dem Wörtchen sollte. Denn das Gros der westlichen Demokratien scheint sich mit Vorbeugung, die heute etwas kostet und erst morgen womöglich etwas nutzt, schwer zu tun. Das ist unvernünftig. Denn wie die Pandemie zeigt, stehen die Krisenkosten inklusive demokratischer Zumutungen, wie die deutsche Kanzlerin Merkel die unabwendbare Beschneidung von Grundrechten nannte, in keinem günstigen Verhältnis zum Aufwand, den vorausschauendes, wenn auch mitunter unpopuläres Handeln verursacht. 

Dass das beim Klimawandel nun anders werden könnte, liegt paradoxerweise auch an der Coronakrise. Denn anstatt sich wie bisher mit stetig abnehmender Ambition von langfristigen Absichten über mittelfristige Ziele hin zu kurzfristigem Agieren zu hanteln, sollen nun zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Im Sinne einer Green Recovery dient die Bewältigung von Krise A idealerweise auch der Vorbeugung von Krise B. Das Stichwort gab EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen mit dem europäischen Green Deal, mit dem ein bis 2050 klimaneutrales Europa angestrebt wird. Und nicht nur das: Auch die großen Zahlen erschrecken heute viel weniger. Denn während der europäische Green Deal – rückwirkend betrachtet „lediglich“ – eine Billion Euro innerhalb der nächsten Dekade kosten sollte, hat derzeit wohl kaum jemand den Überblick über die Fantastillionen, die von Staaten und Finanzinstitutionen weltweit für die jetzige Krisenbewältigung auf den Tisch gelegt werden. 

Ein wenig irritieren darf dabei, dass es weder für den Green Deal noch für die globale Green Recovery einen richtigen Fahrplan gibt. Dabei wissen wir beispielsweise aus den Erfahrungen der globalen Entwicklungsbemühungen, dass man Erfolge salopp gesprochen nicht kaufen kann. Eigentlich mangle es nicht am guten Geld, sondern vielmehr an guten Maßnahmen, hat es hier immer geheißen. Dass letztere beim Jahrhundertprojekt Klimawandel plötzlich in großer Zahl und hoher Qualität vom Himmel fallen, ist eher nicht zu erwarten – schon allein deshalb nicht, weil in vielerlei Hinsicht kein Konsens darüber herrscht, wie der richtige Weg aussehen und auf welchen Technologien er aufbauen soll. 

Ob die Pandemie dazu beitragen wird, den Blick für das Wesentliche zu schärfen und wichtige Zukunftsfragen richtig zu beantworten, ist noch nicht absehbar. Eine Erkenntnis ist jedenfalls gewiss: Es ist billiger, die Welt zu retten, als sie an die Wand zu fahren. 


Foto: Mihai M. Mitrea