Trinkwasser und Nahrungsmittel werden in Kenia flächendeckend von Kunststoffverpackungen geschützt. Doch nach der Benutzung fängt die Misere an. Denn es gibt kaum Sammlungs- und Verwertungsstrukturen, sodass die Verpackungen auf wilden Deponien, in Gewässern oder Straßengräben landen. Doch Kieran Smith hat der Plastikflut den Kampf angesagt. Bereits 2010 rief er als Student in Zürich sein Recycling-Startup Mr. Green ins Leben, seit 2014 gibt es mit Mr. Green Africa auch eine Tochtergesellschaft in Kenia. Mehr als 2.500 Müllsammler sind für das Unternehmen in Nairobi unterwegs und tragen Altplastik zusammen, das Mr. Green Africa recycelt und weiterverkauft.

Grünes Nairobi: Mitarbeiter von Mr. Green Africa

Da die Qualität des gewonnenen Recyclingmaterials anfänglich zu wünschen übrig ließ, suchte Smith Rat in Oberösterreich. Die Experten vom Institut für Polymerwissenschaften der Johannes Kepler Universität Linz berieten ihn in technischen Fragen. Schon bald wird Mr. Green Africa vor Ort aus dem produzierten Kunststoffrecyklat ein Regranulat herstellen können, das qualitativ dem Pendant aus Rohware entspricht – dank einer Anlage des oberösterreichischen Unternehmens Erema, die Ende des Jahres in Nairobi in Betrieb genommen wird. „Das Projekt zeigt, wie sich der informelle Abfallsektor in eine hochwertige und wirtschaftlich erfolgreiche Kunststoffkreislaufwirtschaft integrieren lässt“, sagt Manfred Hackl, CEO von Erema (siehe Interview rechts). Dabei gefällt ihm die Initiative vor allem auch deswegen, „weil es dabei nicht nur um Entsorgung, Wiederverwertung und Recycling geht, sondern auch um faire Bedingungen für die Waste Picker, die mit Sammlung und Weiterverkauf von Kunststoffabfällen ihren Lebensunterhalt verdienen.“

Hackl ist Unternehmer, aber auch Tüftler und Kreislaufwirtschaftspionier. Gemeinsam mit seinem Kollegen Klaus Feichtinger wurde er heuer für die von ihnen entwickelte Counter-Current-Technologie zur Wiederaufbereitung von Plastikabfall mit dem Europäischen Erfinderpreis ausgezeichnet. Diese Technologie steckt auch in der Anlage, die in Nairobi ihren Dienst tut.

Eine Erema-Maschine bringt Plastikabfälle zurück in den Materialfluss.

Mehr als nur Recycling

Kreislaufwirtschaft ist momentan in aller Munde. Gesetze werden verabschiedet, Unternehmen entwickeln Kreislaufstrategien, und beim corporAID Multilogue, der in Kooperation mit KPMG zu diesem Thema im September in Wien stattfand, war der Andrang entsprechend groß. Als Gegenentwurf zur dominierenden linearen Wirtschaft ist Kreislaufwirtschaft so angelegt, dass Produkte und die ihnen zugrunde liegenden Ressourcen nach der Benutzung weiter zirkulieren. So kann der Bedarf an neuen Rohstoffen deutlich reduziert werden. Kreislaufwirtschaft ist dabei mehr als Reparatur und Recycling: Der Ausdruck steht für ein neues Konzept des Wirtschaftens, das intelligentes Produktdesign – Produkte sollen bereits so konzipiert werden, dass ihre Bestandteile später möglichst zur Gänze wiederverwendet werden können – und die Umstellung ganzer Industrie- oder Landwirtschaftssysteme einschließt, damit Abfälle zum Ausgangsmaterial für Neues werden.

Laut jüngsten Daten des seit 2018 erscheinenden „Circularity Gap Report“ ist die Weltwirtschaft zu neun Prozent zirkulär aufgestellt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass 91 Prozent der eingesetzten Ressourcen nach der Nutzung thermisch verwertet werden, auf Mülldeponien oder im Meer landen, gar nicht wiederverwertet werden können wie fossile Brennstoffe oder bloß noch nicht, weil beispielsweise viele Gebäude und Straßen noch Jahrzehnte der Nutzung vor sich haben, bevor die eingesetzten Materialien für eine Wiederverwendung zur Verfügung stehen.

Österreichs Zirkularität liegt etwas über dem weltweiten Durchschnitt, laut einer aktuellen Studie im Auftrag der Altstoff Recycling Austria ist die heimische Wirtschaft zu 9,7 Prozent zirkulär. Die Recyclingquote von Siedlungsabfällen ist mit 58 Prozent hierzulande im internationalen Vergleich hoch, Bausektor, Mobilität, ein großer Anteil an importierten Konsumgütern und fossilen Energieträgern drücken aber das Ergebnis. Potenzial wird vor allem in einer deutlich forcierten Nutzung erneuerbarer Energiequellen und einem geringeren Materialverschleiß im Bausektor gesehen.

Interview mit Manfred Hackl, CEO von Erema

Das Momentum nutzen

Manfred Hackl, Geschäftsführer des oberösterreichischen Kunststoffrecycling-Unternehmens Erema, sieht im Kreislaufwirtschafts-Trend Chance und Auftrag für die Plastikbranche.

Hohe Rendite

Bei einer weitreichenden Umstellung auf Kreislaufwirtschaft könnte allein die verarbeitende Industrie in der Europäischen Union jährlich bis zu 630 Mrd. Dollar Materialkosten einsparen, berechnet eine aktuelle McKinsey-Studie. Und weltweit ließen sich Accenture zufolge bis zum Jahr 2030 4.500 Mrd. Dollar generieren, wenn Unternehmen Kreislaufwirtschaft betreiben. Aktuell sind derlei Statistiken und Berichte stets im Konjunktiv formuliert. Doch viele Gesetzgeber versuchen bereits, den Prozess anzukurbeln und Kreislaufwirtschaft zum Indikativ, vielleicht gar zum Imperativ zu machen.

Länder wie Schweden, die Niederlande oder Slowenien haben ambitionierte Kreislaufstrategien erarbeitet. Das Kreislaufwirtschaftspaket der Europäischen Union, das 2015 von der Kommission angestoßen und im Vorjahr vom Parlament angenommen wurde, setzt europaweit verbindliche Ziele für das Abfallrecycling. Bis 2030 sollen 70 Prozent der Verpackungsabfälle und 60 Prozent der Siedlungsabfälle wiederverwertet werden, ab 2035 dürfen die Mitgliedsstaaten nur noch höchstens zehn Prozent ihrer Abfälle deponieren. Das soll sowohl Abfallmengen verkleinern als auch nachhaltiges Wirtschaftswachstum ankurbeln – und könnte Auswirkungen auf die Handelspartner europäischer Unternehmen in anderen Weltregionen haben. Diese warten aber ohnehin nicht auf die Kreislaufimpulse aus Europa oder Nordamerika: Der aktuelle Fünfjahresplan der chinesischen Regierung etwa besagt unter anderem, dass drei Viertel der chinesischen Industrieparks Kreislaufwirtschaftsverfahren implementieren müssen.

Manfred Tacker, FH Campus Wien

Für Unternehmen geht all das mit hohen Anforderungen und Herausforderungen einher. Zeitgleich ergeben sich neue Geschäftschancen, die immer mehr Unternehmen – von multinationalen Konzernen bis zu Start-ups – erkennen. „Es kommt den Unternehmen zugute, dass sie Druck verspüren, in Richtung Kreislaufwirtschaft zu arbeiten. Durch die Gesetzgebung ist eine neue Dynamik und Konsequenz da“, sagt Manfred Tacker, Fachbereichsleiter Verpackungs- und Ressourcenmanagement an der FH Campus Wien.

Zirkuläre Entwicklung

Dass Kreislaufwirtschaft bislang als „Reiche-Länder-Thema“ begriffen wird, kritisiert der renommierte britische Think Tank Chatham House. Denn viele Entwicklungsländer sind im Gegensatz zu Industrieländern bereits auf Kreislaufwirtschaft eingestellt: In ärmeren Ländern leben Millionen Menschen im informellen Sektor von der Sortierung und Wiederverwendung von Abfällen – etwa Elektroschrott. Die Frage ist, ob und wie man daraus formelle Beschäftigung und Entwicklungsmöglichkeiten macht. Ohne das Engagement gegen systemische Mängel wie fehlende Abfallwirtschaften werden jedenfalls auch technologisch anspruchsvolle Recyclingmaschinen keinen signifikanten Unterschied machen können und Plastikflaschen in den Straßengräben liegen bleiben, statt erneut im Ladenregal zu landen.

Jahr für Jahr werden zig Millionen Tonnen an Plastikmüll nicht recycelt – vor allem in Asien landet viel Altplastik im Meer oder im Graben.

Laut Chatham House muss nun das Momentum genutzt werden, um Handelspartnerschaften, regionale Zentren und Pilotprojekte zur Kreislaufwirtschaft in Entwicklungsländern anzugehen. Erste Schritte sind in einigen Regionen bereits getan, etwa in Afrika: Ruanda, Nigeria und Südafrika haben vor zwei Jahren die „African Alliance on Circular Economy“ ins Leben gerufen. Vor allem jedoch in Asien ist die Notwendigkeit für Kreislaufwirtschaft gewaltig, bedenkt man etwa, dass mehr als 80 Prozent des Plastiks in den Weltmeeren aus Asien kommt.

Angelika Guldt, Lenzing

Die dortigen Kreislauf-Zukunftsmärkte locken auch immer mehr österreichische Unternehmen. So eröffnet Constantia Flexibles, Verpackungsspezialist etwa für Medizin, Joghurt oder Schokolade, im November im indischen Ahmedabad das weltweit erste Werk, das ausschließlich voll-rezyklierbare flexible Verpackungen herstellt. Und der oberösterreichische Faserhersteller Lenzing hat kürzlich den Bau des größten Lyocellfaserwerks der Welt im thailändischen Prachinburi, etwa 150 Kilometer östlich der Hauptstadt Bangkok, beschlossen und will zukünftig den ökologischen Fußabdruck der ganzen Branche in Asien verbessern. Von wirklicher Kreislaufwirtschaft sei man dort aber noch weit entfernt, sagt Angelika Guldt, Nachhaltigkeitsbeauftragte von Lenzing: „Letztlich brauchen wir harmonisierte Standards mit Asien.“

Neue Kooperationen

Kreislaufwirtschaft ist bei allem Enthusiasmus aber weder ökonomisch noch ökologisch ein Allheilmittel. So sind zirkuläre Ansätze nicht nur häufig teurer als die Alternativen, sie sind bisweilen auch energieintensiver oder gar umweltunverträglicher. Der Kreislaufwirtschaftsaspekt von Müllverbrennungsanlagen hängt etwa stark von den vorhandenen Materialien, den Auswirkungen auf die Emissionen und den Möglichkeiten ab, die sich als Alternative zur Verbrennung bieten. Und während bei Materialien wie Aluminium, dessen Recycling deutlich energiesparender ist als die Primärproduktion und entsprechend flächendeckend angewandt wird, Kreislaufwirtschaft hochgradig sinnvoll ist, muss die Reparatur eines Fahrzeugs oder eines Kühlschranks gegen die Effizienzsteigerung durch den Kauf eines neuen abgewogen werden.

Dank der technologischen Umbrüche gestaltet sich aber der Umstieg auf zirkuläre Wirtschaftspraktiken deutlich effizienter als zuvor. Mit neuen Tracking-Technologien lässt sich merklich optimieren, wann Produkte repariert, aufgerüstet oder recycelt werden sollten. Blockchain schafft die nötige Sicherheit in der Lieferkette. Und die Verwendung digitaler Plattformen führt zu einem verstärkten Austausch von Produkten unter den Verbrauchern.

Von einem Paradigmenwechsel zu sprechen, ist trotz all der Lobeshymnen und Möglichkeiten noch verfrüht. Dennoch lässt sich festhalten, dass das Interesse an der Kreislaufwirtschaft deutlich zunimmt. In den Industrieländern handelt es sich sowohl um eine Frage des Zeitgeistes als auch um ökonomische Chancen. In Schwellen- und Entwicklungsländern könnten durch Kreislaufwirtschaft gar bestimmte ressourcenintensive Entwicklungsschritte übersprungen werden.

Kreislaufexperte Manfred Tacker betont, dass es letztlich auf eine deutlich engere Zusammenarbeit und Verknüpfung der Unternehmen, die auf Kreislaufwirtschaft setzen, ankomme. Je größer das Netzwerk, desto effektiver der Kreislauf.

Fotos: Bari Bookout/Flickr, Mr. Green Africa, EPO, FH Campus Wien, Lenzing