Kann die Blockchain-Technologie das Leben der Menschen in Äthiopien nachhaltig verbessern? Wenn es nach Charles Hoskinson, dem Gründer der Cardano Foundation geht, lässt sich diese Frage mit einem klaren „Ja“ beantworten. So sollen nächstes Jahr fünf Millionen Schüler der Abschlussklassen sowie alle Studenten des Landes eine Cardano-Blockchain-basierte digitale ID erhalten, unter welcher ihre Noten und akademischen Fortschritte dezentral erfasst und dokumentiert werden. In Addis Abeba wurden dafür Kooperationen mit Universitäten eingegangen und Studierende in Kryptographie und Blockchain-Entwicklung ausgebildet. Laut dem äthiopischen Bildungsminister Getahun Mekuria soll Äthiopien zum „größten Blockchain-Anwender im Bildungssektor“ und ein „Akteur in der vierten industriellen Revolution“ werden. Er ist überzeugt, dass sich die Qualität der Bildung in der Folge verbessern wird.

Seit fünf Jahren bereitet sich die Cardano Foundation auf diesen weltweit größten Anwendungsfall der Blockchain-Technologie vor. Das Projekt ist auch das Erste, bei dem eine staatliche Einrichtung mit einem Kryptounternehmen offiziell kooperiert – laut Hoskinson handelt es sich um „eine unglaublich spannende Partnerschaft“. Und das soll nur der Anfang sein – die Technologie biete die Möglichkeit, diverse Entwicklungslandprobleme zu lösen.

Blockchain: Dezentrale Datenbank

Die Blockchain-Technologie, die bislang vor allem mit Kryptowährungen Aufsehen erregte, gibt es seit mehr als zehn Jahren. Auf den Punkt gebracht ist eine Blockchain eine dezentrale Datenbank, die von ihren Nutzern betrieben, gesteuert und weiterentwickelt wird. Eintragungen und Transaktionen sind für alle Nutzer einsehbar und nachträglich nicht mehr veränderbar. Transfers finden in direktem Kontakt statt. 

Für die Rechenleistung, die Nutzer für den Betrieb des dezentralen Netzwerks und die Validierung von Transaktionen zur Verfügung stellen, werden sie mit sogenannten Tokens bezahlt. Davon gibt es rund 11.000, doch nur 16 verfügen über eine Marktkapitalisierung von mehr als zehn Milliarden US-Dollar. Mit 873,5 Mrd. Dollar liegt die älteste Kryptowährung Bitcoin klar an der Spitze, Cardano ist mit einer Marktkapitalisierung von 81,3 Mrd. Dollar derzeit die Nummer drei (siehe Grafik). Gehandelt werden die Tokens an digitalen Börsen wie Coinbase oder dem in Wien ansässigen Unternehmen Bitpanda.

Daten und Fakten

Billionen-Hype

Die Top-5 Kryptowährungen verfügen zusammen über mehr als 1.000 Mrd. Dollar Marktkapitalisierung.

Blockchain Grafik

El Salvador geht voran

Das Interesse an der neuen Technologie ist in Ländern, wo Wahlen weitgehend normal ablaufen, Finanzsysteme etabliert und Rechtstitel anerkannt sind, begrenzt. So berichten Medien hier auch eher über die Kursvolten des Bitcoins, den hohen Energieverbrauch von Blockchains oder die Verwendung von Kryptowährungen als Lösegeld nach Datenhacks. Schwellen- und Entwicklungsländer zeigen sich experimentierfreudiger. Die Technologie gilt dort als Hoffnungsträger auf vielen Ebenen.

Eine Vorreiterrolle übernahm kürzlich El Salvador. Im Juni 2021 führte die Regierung des Landes neben dem US-Dollar Bitcoin als zweites offizielles Zahlungsmittel ein. Die Motive sind klar: So besitzt die Mehrheit der Salvadorianer bis heute kein Bankkonto, was letztlich auch Steuerzahlungen erschwert. Da es für Zahlungen mit Bitcoin genügt, über eine digitale Geldbörse (Wallet) zu verfügen, die von jedem Smartphone aus nutzbar ist, sollte dieses Problem gelöst sein. Als weiteres Motiv kommt dazu, dass El Salvador ein gutes Fünftel des Bruttoinlandsproduktes aus den Rücküberweisungen der 2,5 Millionen Salvadorianer in der Diaspora bezieht. Dabei entgingen den Empfängern bisher drei bis zehn Prozent der Beträge durch Gebühren, die Zahlungsdienstleister wie Western Union oder Moneygram für die Geldtransfers verrechnen. Diese Abschläge fallen zukünftig weg, da Bitcoin-Zahlungen ohne Mittler erfolgen.

Um die Bevölkerung, die vor allem Bargeldzahlungen in Dollar gewohnt ist, für Bitcoin empfänglich zu machen, wird jeder Staatsbürger ein digitales Startguthaben im Wert von 30 Dollar erhalten. Insgesamt will die Regierung verstärkt in Digitalisierung investieren, einen Innovationsschub erhofft sie sich durch die Ansiedlung internationaler Start-ups. 

Während El Salvador für diesen Vorstoß seitens der Weltbank und dem Internationalem Währungsfonds Kritik erntete, bekundeten andere Schwellen- und Entwicklungsländer großes Interesse. Sie werden den Ausgang des Experiments und speziell die Nutzung von Bitcoin im Alltag genau beobachten.

Der Zulauf zu Kryptowährungen in Nigeria, Argentinien, Venezuela oder Simbabwe erklärt sich aus anderen Gründen, nämlich als Form der Absicherung gegen die grassierende Inflation und als Alternative zu begrenzt verfügbaren Bardevisen. Dabei werden Bitcoins in sogenannte Stable Coins wie Tether oder USD-Coin getauscht, die an den Dollar gebunden und damit gegen Volatilität und hohe Inflation abgesichert sind.

Blockchain setzt sich in El Salvador durch.
In El Salvador soll Bitcoin eine gleichberechtigte Alternative zum Dollar werden.

Widerstand wegen Missbrauchs der Blockchain-Technologie

Die Vorbehalte von Staaten gegenüber Kryptowährungen beruhen vor allem auf der Angst, dass dadurch die eigene Devisenbewirtschaftung umgangen wird. So hat etwa die Türkei mit Mai 2021 Zahlungen in Kryptowährungen verboten. Hintergrund ist die Sorge, dass durch Cyberdevisen die Türkische Lira weiter unter Druck gerät. Sie hat in den vergangenen Jahren deutlich an Wert verloren, die Inflation im Land ist hoch. 

Derweil wird Bitcoin und Co im bevölkerungsreichsten Staat Afrikas, Nigeria, mit geschätzten 15 Millionen Auswanderern trotz Verbot eifrig überwiesen, gehandelt und verliehen. Laut Statista geben 42 Prozent der Nigerianer an, Kryptowährungen zu nutzen. Damit ist das Land die Nummer eins auf diesem Gebiet. In Europa ist die Schweiz mit einer 13-prozentigen Nutzerquote von Blockchain-Produkten führend. 

Daneben stehen Kryptowährungen in Bezug auf Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung oder Anlegerbetrug weltweit unter Regulierungsdruck. Erst neulich gab es an der populären südafrikanischen Kryptobörse Africrypt einen spektakulären Fall. Die beiden Afri-crypt-Gründer konnten Kunden mit Versprechungen von zehnprozentigen Tagesrenditen locken – und tauchten dann mit 69.000 Bitcoins im Wert von mehreren Mrd. Dollar unter. Mangels Regulierungen zu Kryptowährungen in Südafrika konnte die Finanzaufsichtsbehörde den Betrug nur bedauernd zur Kenntnis nehmen. 

Blockchain-Pilotprojekt in Äthiopien

Das größte Disruptionspotenzial der Blockchain-Technologie liegt jedoch nicht in seiner Anwendung für Kryptowährungen, sondern in der Möglichkeit, für die breite Masse der Bevölkerung Identitäts- und Persönlichkeitsrechte, Besitztitel oder Ausbildungsnachweise dezentral und manipulationssicher abzuspeichern. Genau das will Charles Hoskinson mit seiner Cardano-Blockchain in Äthiopien beweisen. 

Dabei soll das Pilotprojekt im Bildungssektor mit fünf Millionen Beteiligten erst der Anfang sein (siehe Interview). Bis 2023 sollen weitere 20 Millionen äthiopische Bürger eine digitale Identität erhalten, an die neben Ausbildungszertifikaten auch Land- und Besitztitel sowie die Wahlberechtigung geknüpft werden sollen. Der digitale Schlüssel und damit die Verfügungsgewalt über diese persönlichen Informationen liegt dabei ausschließlich bei den Nutzern. Die Daten werden dezentral auf zahlreichen Servern gespeichert und sind sicher, auch im Falle von Krieg, Vertreibung oder Naturkatastrophen, sowie für den jeweiligen Besitzer global zugänglich. 

Interview mit John O'Connor, IOHK/Cardano

Blockchain Experte O'Connor.

Wertvolle Transparenz

Für John O‘Connor, Afrika-Chef von IOHK, dem Unternehmen hinter der Cardano Foundation, zeigt das Pilotprojekt in Äthiopien, wie mithilfe von Blockchain Transparenz geschaffen und Betrug vorgebeugt werden kann.

Umgekehrte Reihenfolge

Die Blockchain könnte in Schwellen- und Entwicklungsländern Lösungen für reale Probleme bieten, während in Industrieländern das zu lösende Problem erst noch gesucht werden muss, wie Kritiker von Bitcoin und Co gerne betonen: In Subsahara-Afrika, wo es kaum etablierte Finanzsysteme und Rechtstitel gibt, habe die Blockchain-Technologie wohl den größten Nutzen.

Möglicherweise hat sich gegenüber früher aber auch bloß die Reihenfolge geändert. Denn während technische Innovationen in der Vergangenheit zuerst Probleme in Industrieländern adressierten, scheinen die Erfolgsbedingungen heute in Schwellen- und Entwicklungsländern besonders günstig. Vor allem weil sich Entwickler – egal ob aus den USA, Argentinien oder Äthiopien – in einer digitalen und vernetzten Welt gleichberechtigt in die Weiterentwicklung der auf Open-Source-Technologien basierenden Blockchain-Projekte einbringen können. Und wenn diese dort einmal funktionieren und überzeugen, könnten sie auch in unseren Breiten eingesetzt und skaliert werden. Damit ist die Blockchain-Technologie ein Game-Changer, auch was die Reihenfolge der Nutznießer anbelangt. 

Fotos: Overseas development Institute, Romanchimbera/twitter