Aufforstung: Wälder für die Welt

Fast ein Drittel der globalen Landfläche ist mit Wald bedeckt. Jedes Jahr werden allerdings rund zehn Millionen Hektar Wald abgeholzt. Aufforstung soll den Schaden begrenzen – und wird heute auch als Quick fix gegen den Klimawandel gesehen.

Wald
Waldverlust geht vor allem auf das Konto der Landwirtschaft.

Im Redwood Nationalpark in Kalifornien wächst seit mehr als 1.200 Jahren ein Küstenmammutbaum namens Hyperion. Mit einer Höhe von 116 Metern überragt er nicht nur das Wiener Rathaus um rund zehn Meter, sondern auch alle anderen dreitausend Milliarden Bäume, die es schätzungsweise auf der Erde gibt – Hyperion ist der höchste bislang entdeckte Baum. Den kalifornischen Giganten und seine weltweit verstreuten Artgenossen eint eine Gemeinsamkeit: Sie bleiben ihrem Standort zwar treu, bewegen aber einiges: Bäume sorgen für frische Luft und sauberes Wasser, regulieren das globale Klima und erhöhen die lokale Regensicherheit, festigen mit ihren Wurzeln Böden, schützen vor Steinschlag, Sturm und Fluten und stützen zudem die Artenvielfalt: Nicht nur weil es allein an die 73.000 Baumarten geben soll, sondern weil es in natürlichen Wäldern von Pflanzen und Tieren nur so wimmelt. 

Von einem solchen spricht die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO ab einer Mindestfläche von einem halben Hektar, mit Bäumen, die höher als fünf Meter werden können und deren Kronen mehr als zehn Prozent der Fläche bedecken. Wald ist natürlich auch das: wichtiger Lieferant von Rohstoffen wie Holz und Holzfasern, Wildbret, Pilzen, Beeren, Nüssen, Kräutern, Honig oder Harz. Rund 33 Millionen Menschen arbeiten im Forstsektor, der mehr als 1.500 Mrd. Dollar zur Weltwirtschaft beiträgt, wie dem Waldzustandsbericht 2022 der FAO zu entnehmen ist. 

Interview mit Ewald Rametsteiner, FAO

Ewald Rametsteiner, FAO

Zu hohe Waldverluste

Ewald Rametsteiner, stv. Direktor der FAO-Forstwirtschaftsabteilung, über einige zentrale Herausforderungen in der Walddebatte.

Wälder stellen für den Planeten also einen immensen Wert dar, der weit über das hinausgeht, was die Rohstoffe einbringen. Da sich Naturleistungen schwer berechnen lassen und ohnehin gern als selbstverständlich betrachtet werden, gibt‘s für den Wald kein Preisetikett – wohl aber Versuche einer Annäherung. Eine kommt vom Beratungsunternehmen Boston Consulting Group, das im Jahr 2020 den Nutzen der weltweiten Wälder auf bis zu 150 Billionen Dollar taxierte. Besonders wertvoll macht sie dabei ihre Leistung fürs Klima, denn für ihr Wachstum nehmen Bäume Kohlenstoffdioxid auf und speichern den Kohlenstoff in der Biomasse. Wälder gelten dabei als Kohlenstoffsenken, weil sie mehr CO2 aufnehmen als sie abgeben. Laut Forschungsergebnissen, die in der Fachzeitschrift Nature Climate Change veröffentlicht wurden, haben die globalen Wälder zwischen 2001 und 2019 netto 7,6 Mrd. Tonnen CO2 pro Jahr absorbiert, das sind 1,5 Mal mehr, als die USA jährlich ausstoßen.

Schrumpfende Wälder

In einer Welt mit wachsender Bevölkerung sind Bäume allerdings oft auch eins: fehl am Platz. Laut Onlineplattform Our World in Data waren am Ende der letzten großen Eiszeit vor rund zehntausend Jahren noch sechs Mrd. Hektar von Wald bedeckt. Seither wurden in allen Regionen Wälder abgefackelt und abgeholzt, wodurch die Fläche auf heute rund vier Mrd. Hektar schrumpfte.

Die Treiber für den Baumverlust haben sich nicht wesentlich verändert: Erstens der Bedarf an Platz für den Anbau von Feldfrüchten wie Weizen, Soja und Co sowie für die Viehzucht – fast 90 Prozent der heutigen Entwaldung gehen auf das Konto der Landwirtschaft.

Laut WWF ist die EU aufgrund ihrer Importe (wie Rindfleisch, Soja, Palmöl, Kakao, Kautschuk, Kaffee oder Holzfasern ) indirekt der – nach China – zweitgrößte Zerstörer tropischer Wälder.

Zweitens der Bedarf an Holz, das als Baumaterial verwendet, zu Papier verarbeitet oder als Energiequelle zum Kochen und Heizen benötigt wird. Dabei geht‘s im Übrigen oft nicht legal zu: Laut Interpol ist die illegale Holzindustrie mit einem Jahresumsatz von 152 Mrd. Dollar der heute drittgrößte Kriminalitätszweig der Welt, nach Drogenhandel und Produktfälschungen. Auch setzen wachsende Städte sowie der Straßen- und Bergbau den Wäldern zu, genauso wie jene verheerenden sommerlichen Großbrände, die von Europa bis Australien immer öfter für Schlagzeilen sorgen. 

Waldgewinner

In den gemäßigten Zonen hat die Entwaldung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht. Seit den 1990er Jahren vergrößern sich in vielen, vor allem reicheren Ländern die Waldflächen wieder. Jedes Jahr entstehen so rund fünf Mio. Hektar neuer Wald: Zu den Gewinnern zählen Schottland, Frankreich, Japan, die USA oder auch Österreich. Für das Plus an Grün gibt‘s verschiedene Gründe. So hat der Einsatz fossiler Brennstoffe, erneuerbarer Energien und Kernkraft den Bedarf an der Energiequelle Brennholz reduziert, zugleich haben die effizientere Nahrungsmittelproduktion und der Import von Rohstoffen die Nachfrage nach Agrarflächen abgeschwächt. Auch starker politischer Wille kann dem Wald helfen, wie ein Beispiel aus den Tropen zeigt: Costa Ricas Regierung erkannte schon vor Jahrzehnten, dass die Regenwälder für das Land essenziell sind und führte 1996 ein System ein, in dem Bürger dafür bezahlt werden, Wälder zu schützen und Bäume zu pflanzen. Mit Erfolg: Die Waldfläche hat sich seither verdoppelt, Costa Rica gilt heute als Best Practice für Waldschutz und Ökotourismus. 

Auch China, einstiger Abholzungskönig, hat die Trendwende geschafft: Gerne lässt sich Präsident Xi Jinping beim Bäumepflanzen filmen – erst im März setzte er Kiefer, Pfirsich, Magnolie, Holzapfel und Esche höchstpersönlich ins Beijinger Erdreich. Im ostasiatischen Riesenstaat wird seit Jahrzehnten in großem Maßstab aufgeforstet – so soll beispielsweise die Große Grüne Mauer das Vordringen der Wüste Gobi verhindern und Sandstürme von Städten fernhalten. Im Mai kündigte Xi an, China wolle 70 Milliarden Bäume pflanzen und erhalten, um „den Planeten zu begrünen, den Klimawandel zu bekämpfen und die Kohlenstoffsenken zu vergrößern“. 

Unterm Strich ein dickes Minus

Und doch: Zwischen 2015 und 2020 wurden jedes Jahr rund zehn Millionen Hektar Wald abgeholzt, das entspricht der Fläche Portugals. Der Großteil der Entwaldung – rund 95 Prozent – findet in den Tropen und Subtropen statt, in Ländern wie Brasilien, Indonesien, in der Demokratischen Republik Kongo, in Angola oder Tansania. Insgesamt hat die Welt im vergangenen Jahrzehnt rund 47 Mio. Hektar Wald – etwa die Größe Schwedens – verloren. Im Vergleich zu den 1980er Jahren, als in nur einer Dekade 151 Mio. Hektar vernichtet wurden, eine erfreuliche Entwicklung. 

Baumverlust

Dennoch ist das Minus zu groß. Denn Wald braucht es auch, um das Pariser Klimaziel zu erreichen und den globalen Temperaturanstieg auf weniger als 1,5 Grad zu begrenzen. Ohne Naturleistungen ist CO2-Neutralität bis 2050 nicht zu schaffen, sind sich Klimaexperten einig – und offenbar auch die Politik. Auf der COP26, der Klimakonferenz im November 2021 in Glasgow, haben Staats- und Regierungschefs von 141 Ländern angekündigt, den Waldverlust bis 2030 zu stoppen und die Wiederherstellung der Wälder sowie nachhaltige Forstwirtschaft zu fördern. Zu diesem Zweck wurden 19 Mrd. Dollar öffentlicher und privater Gelder zugesagt, um insbesondere Entwicklungsländer bei der Erreichung der Ziele zu unterstützen. 

Allerdings mangelte es auch schon vor Glasgow nicht an verbalem Ehrgeiz. Die Bonn Challenge aus dem Jahr 2011 zur Wiederherstellung entwaldeter und erodierter Flächen sieht vor, dass Staaten bis 2030 350 Mio. Hektar renaturieren. Und 2014 hatten Teilnehmer eines UN-Klimatreffens in New York angekündigt, die Entwaldungsrate bis 2020 zu halbieren und die Abholzung bis 2030 zu stoppen. Auch in den 2015 verabschiedeten Zielen für nachhaltige Entwicklung ist Wald ein Thema, ebenso wie in der seit 2021 laufenden UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen.

Pakistan
Massive Aufforstung: Pakistan pflanzt zehn Milliarden Bäume.

Den Absichtserklärungen steht die Realität entgegen. Laut den Satellitendaten von Global Forest Watch verringerte sich der tropische Baumbestand im Vorjahr um gar 11,1 Mio. Hektar. Als besonders schmerzhaft gilt dabei die Zerstörung von 3,75 Mio. Hektar Urwald, dem vielfältigsten und unersetzbaren Ökosystem der Erde – er verringerte sich 2021 in einem Ausmaß von zehn Fußballfeldern pro Minute. Hot Spots der Urwaldentwaldung sind dabei Brasilien – 2022 wurden neue Abholzungsrekorde aus dem Amazonasgebiet gemeldet –, die Demokratische Republik Kongo und Bolivien. 

Europas Vorstoss

Wie der Entwaldung ein Ende gesetzt werden kann, darauf gibt es nicht die eine Antwort. Gerade was in den Tropen heute passiert, hat auch stark mit europäischen Vorlieben zu tun. Rindfleisch, Soja, Palmöl, Kakao, Kautschuk, Kaffee oder Holzfasern sind gefragte Erzeugnisse. Laut der Naturschutzorganisation WWF ist die EU aufgrund ihrer Importe indirekt der – nach China – zweitgrößte Zerstörer tropischer Wälder. Gerade an dieser Schraube soll nun gedreht werden. Die Europäische Kommission präsentierte Ende 2021 einen Gesetzesvorschlag, mit dem die Einfuhr von Waren verboten werden soll, für deren Anbau oder Produktion Wälder zerstört werden. Aktuell arbeiten die Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament an den Details der „entwaldungsfreien Lieferkette“, im September soll es zur Abstimmung im EU-Parlament kommen.

Zudem gilt es besser zu schützen, was da ist: Mehr als 700 Mio. Hektar Wald befinden sich heute in gesetzlich festgelegten Schutzgebieten. Zudem hätte die Welt – aus wissenschaftlicher Perspektive – Platz für rund tausend Milliarden Bäume mehr. Daher tragen mehrere Kampagnen, etwa vom WWF oder des Weltwirtschaftsforums, das große Ziel der „Trillion trees“ im Namen. Davon könnte einiges durch natürliche Regeneration entstehen und vieles durch große Pflanzaktionen, wie sie heute von China über Pakistan bis Afrika geplant und ausgeführt werden. Insgesamt könnten laut FAO-Berechnungen 1,5 Mrd. Hektar degradierte Flächen von einer Wiederherstellung profitieren und auf einer weiteren Milliarde Hektar der Baumbestand erhöht werden, um damit die landwirtschaftliche Produktivität zu steigern (mehr zur Renaturierung in der Praxis siehe corporAID-Artikel „Comeback der Bäume“). 

Grün reicht nicht

Will man später nicht bereuen, was heute gesetzt wird, gilt es, die „Goldenen Regeln der Wiederaufforstung“ (siehe unten) zu beachten. Heute weiß man etwa, dass schnell gesetzte Monokulturen zwar schön grün aussehen, doch in puncto CO2-Speicherfähigkeit, Biodiversität und Langlebigkeit mit natürlichen Wäldern nicht mithalten können. Da zugleich der Bedarf an Forstprodukten in der Zukunft stark zulegen dürfte, braucht es also ein Mehr an Plantagen und Mischwäldern, die biologische Vielfalt und wirtschaftliche Bedürfnisse auf einer Fläche berücksichtigen. 

Die Erhaltung, Wiederherstellung und nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder ist jedenfalls eine komplexe und kostspielige Angelegenheit: Die Mittel müssten sich laut FAO bis 2030 mindestens verdreifachen, auf mehr als 200 Mrd. Dollar pro Jahr nur für den Aufbau und die Bewirtschaftung von Wäldern. Internationale öffentliche und private Finanzmittel stehen heute zunehmend zur Verfügung, und finanzielle Anreizsysteme, durch die ärmere Länder für den sorgsamen Umgang mit ihren Wäldern bezahlt werden, dürften in der Zukunft stark ausgebaut werden. Wer mehr Wald will, muss also zahlen – und erhält im Gegenzug Unbezahlbares zurück.

Für wirksame (Wieder-)Aufforstungsprojekte empfehlen Wissenschafter des Royal Botanic Gardens Kew die Einhaltung folgender zehn Goldenen Regeln.

1. Bestehende Wälder schützen

Jahrhunderte alte Wälder lassen sich durch Wiederaufforstung nicht einfach so ersetzen. Daher gilt: Bestehende Wälder – und hier vor allem Urwälder – zu erhalten.

2. Mit lokaler Bevölkerung zusammenarbeiten

Im Rahmen von Community-based Forest Management kümmern sich Menschen vor Ort um den Wald und um Neupflanzungen. So wird traditionelles Wissen und neues Know-how gebündelt, und es entstehen neue Jobs.

3. Biodiversität maximieren

Gelungene Aufforstung bedeutet die Wiederherstellung einheimischer Wälder. Diese binden langfristig weit mehr Kohlenstoff als Baum-Monokulturen, erhalten Biodiversität und liefern unter anderem Nahrungsmittel und Medizin.

4. Geeignete Flächen auswählen

Für die Anpflanzung von Bäumen eignen sich ehemals bewaldete Gebiete. Natürliches Grasland, Savannen oder Sumpfgebiete sollen hingegen nicht aufgeforstet werden, da diese besonderen Ökosysteme ebenfalls zur Bindung von Kohlenstoff, hauptsächlich im Boden, beitragen.

5. Nutzung des natürlichen Waldwachstums

Das natürliche Nachwachsen von Wäldern kann billiger und effizienter sein als das Pflanzen von Bäumen. Am besten funktioniert es auf leicht degradierten Flächen und in der Nähe von Wäldern, die als Samenquellen dienen.

6. Die richtigen Baumarten wählen

Es sollte eine Mischung von Arten gepflanzt werden, die für das natürliche Waldökosystem typisch ist und die auch gefährdete Baumarten umfasst. Exotische Arten, die invasiv werden könnten, sind zu vermeiden.

7. Auf Resilienz achten

Um das Überleben eines neuen Waldes zu gewährleisten, müssen hochwertige Baumsamen mit adäquater genetischer Vielfalt verwendet werden, die zudem für das lokale (und prognostizierte künftige) Klima geeignet sind.

8. Vorausschauend planen

Es muss im Voraus entschieden werden, woher das Saatgut oder die Setzlinge bezogen werden. Eventuell müssen eigene Saatgutsammlungen oder Baumschulen aufgebaut werden.

9. Learning by doing

Wissenschaftliche Erkenntnisse sollten mit dem Wissen der Einheimischen kombiniert werden und idealerweise im kleinen Maßstab getestet werden, bevor Bäume in großem Maßstab gepflanzt werden.

10. Es muss sich lohnen

Damit ein Aufforstungsprojekt finanziell tragfähig ist, muss es sich monetarisieren lassen, etwa durch den Verkauf von nachhaltig geerntetem Holz und Früchten – oder auch durch Ökotourismus. Auch über die im Wald gebundene Menge an CO2 lassen sich durch den Verkauf von Emissionszertifikaten Erträge erschließen. 

Fotos: Tomas Munita/CIFOR Flickr, FAO, Asfand-Yar-Unsplash, Kate Evans/CIFOR Flickr