Elf Jahre bleiben noch: Bis 2030 sollte die Welt deutlich besser dastehen, als sie sich heute präsentiert. Extreme Armut soll dann beseitigt, die Ressourcen des Planeten geschützt, Gesundheit und ein gewisser Wohlstand für jeden Menschen erreicht sein. So sieht es jedenfalls die Agenda 2030 mitsamt ihren 17 Sustainable Development Goals SDG vor, die im Herbst 2015 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet und von 193 Staaten, darunter auch Österreich, unterzeichnet wurde.

Was vielleicht für manche nur eine zahnlose politische Willensbekundung darstellt, ist für andere inzwischen zur wertvollen Orientierungshilfe geworden. Denn: Die SDG benennen nicht nur bedeutende globale Herausforderungen wie den Zugang zu Wohnraum, Energie, Wasser, Mobilität oder Gesundheitsservices. Sie sind gleichzeitig Indikator für die Entstehung neuer Märkte, da für die Umsetzung der Agenda 2030 von Regierungen und internationalen Organisationen Milliardeninvestments getätigt werden müssen. Zudem wird der Zugang zu Kapital für jene Unternehmen erleichtert, die innovative Lösungen auf Basis nachhaltiger Geschäftsmodelle anbieten können. Wie unter anderem die Studie „Better Business, Better World“ der Business and Sustainable Development Commission aufzeigt, steckt in den SDG für Unternehmen großes wirtschaftliches Potenzial: Demnach würden neue Märkte in einem Umfang von bis zu zwölf Billionen Dollar allein in den Bereichen Nahrung & Landwirtschaft, Städte, Energie & Ressourcen sowie Gesundheit geschaffen.

Marktchancen

Ein neuer Report der dänischen Außen- und Wirtschaftsministerien sieht in der Agenda 2030 jedenfalls eine „World of Opportunities“, so der Titel der Publikation, allerdings mit dem naheliegenden Fokus auf dänische Unternehmen. Dänemarks Regierung will damit den eigenen Unternehmen mehr als nur Chancen aufzeigen, sondern zudem die Hand reichen für Kooperationen und Unterstützungsangebote, damit diese ihre Kompetenzen global verstärkt einbringen können.

Auch in Österreich taucht das Kürzel SDG im unternehmerischen Kontext auf: In Nachhaltigkeitsberichten führen immer mehr Unternehmen ihre Beiträge zur Erreichung der globalen Ziele an, Führungskräfte sind immer öfter auf SDG-Veranstaltungen präsent – und auch in der neuen österreichischen Außenwirtschaftsstrategie werden im Kapitel „Nachhaltige Entwicklung als Chance für Unternehmen und Standort“ die Ziele genannt (siehe hier).

Das Bewusstsein, dass die heimische Wirtschaft über reichlich SDG-relevante Stärken und Kompetenzen verfügt und dass in der Agenda 2030 eine Chance für den Wirtschaftsstandort, seine Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft, steckt, wächst. Zahlreiche österreichische Unternehmen sind bereits in Schlüsselbereichen wie landwirtschaftliche Produktivität, Energieversorgung, Mobilität, Wasser- und Umwelttechnik oder Gesundheitsinfrastruktur international erfolgreich tätig – etwa der Gesundheitsdienstleister Vamed aus Wien (siehe hier) oder der steirische Abfall- und Recyclingprofi Komptech (siehe hier). Und viele nehmen Chancen in Entwicklungs- und Schwellenländern wahr – gerade in den oft als schwierig geltenden Märkten besteht ein enormer Bedarf an innovativen Lösungen und Beratungsleistungen.

Gut besucht: SDG Business Forum im März 2019 in Wien.
Gut besucht: SDG Business Forum im März 2019 in Wien.

Wie man österreichische Unternehmen besser an die entstehenden Zukunftsmärkte heranführen könnte, war daher auch Thema mehrerer Experten-Roundtables, zu denen das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort BMDW in den vergangenen Wintermonaten lud. Heuer im März folgte schließlich das gut besuchte SDG Business Forum, in dem Unternehmensvertreter, Experten und Praktiker einen Tag lang über Megatrends wie Urbanisierung, Klimawandel und die digitale Revolution im Kontext der SDG und konkreter Business Opportunities für heimische Unternehmen reflektierten.

Neu denken

Die Diskussionen zeigten: Für die Erschließung neuer Märkte braucht es vor allem zweierlei, nämlich Innovation und Finanzierung. So müssten Geschäftsmodelle, Dienstleistungen und Produkte mitunter neu gedacht werden. „Viele österreichische Unternehmen hätten das Potenzial, mit sozialen und technologischen Innovationen zu nachhaltiger Entwicklung beizutragen“, meint Maria Tagwerker-Sturm, Innovationsmanagerin bei Umdasch Group Ventures. Doch die Lösung bestehe nicht darin, existierende Produkte für Entwicklungsmärkte „nur downzugraden“. Stattdessen gelte es, so Tagwerker-Sturm, „frugale Produkte, die nachhaltig, ressourceneffizient und auf Kernfunktionalitäten reduziert sind“, zu entwickeln. Umdasch selbst hat die mobile Fertigungsfabrik Neulandt 3P ersonnen, mit der sich überall auf der Welt Betonfertigteile für Low-Cost-Häuser herstellen lassen. Das Unternehmen rechnet mit Nachfrage vor allem aus bevölkerungsreichen Emerging Markets.

Auch bei Andritz Hydro ist man dabei, neue Low-Cost-Lösungen auf den Markt zu bringen. In Madagaskar hat der Turbinenbauer einer Mini-Wasserkraftanlage zur Stromversorgung aufgestellt, berichtet Innovationsmanagerin Mirjam Sick. „Sie ist kostengünstig, einfach und wartungsarm“. Die Anlage selbst wurde von einer zugekauften Firma entwickelt, denn, so Sick, „wir selbst denken zu komplex und lernen jetzt dazu.“

Auch in der Entwicklung von Geschäftsmodellen, die darauf abzielen, Ressourcen so lange wie möglich im Einsatz zu halten, steckt ein relevanter SDG-Beitrag. Borealis, ein führender Anbieter innovativer Lösungen im Bereich Polyolefine, hat daher das Thema Kreislaufwirtschaft auf die Agenda gesetzt. Laut Andreas Leitner, Head of New Business Development, investiert das Unternehmen in die Entwicklung von zu hundert Prozent recycelbaren Kunststoffen und setzt auch bei der Kunststoffentsorgung an. Dazu hat Borealis ein Pilotprojekt in Indonesien gestartet.

Hilfe gefragt

Ein unterstützender Rahmen ist für ein stärkeres Engagement heimischer Unternehmen entscheidend. Insbesondere für KMU sind Herausforderungen in risikobehafteten Märkten groß. „Instrumente wie Soft Loans gehören ausgebaut und Exportversicherungen sollten im Krisenfall unbürokratisch ablaufen“, wünscht sich etwa Paul Schausberger von UNIHA, einem Linzer Unternehmen, das Wasseraufbereitungsanlagen auch nach Afrika liefert. Wolfgang Diernhofer von Kommunalkredit Public Consulting sieht österreichische Unternehmen in Bezug auf Unterstützungsangebote oft im Nachteil, da die Konkurrenz etwa aus Deutschland oder den Niederlanden auf ein breiteres Spektrum zugreifen könne und dort auch kleinere Vorhaben unterstützt würden.

Die Vorstellung vieler KMU vom öffentlich finanzierten oder zumindest entsprechend abgesicherten Exportgeschäft stößt in der Realität an Grenzen, weil sie sich nicht mit den an sich zahlreich verfügbaren internationalen Finanzierungsangeboten matcht. Letztere zielen nämlich immer öfter darauf ab, dass europäische Unternehmen auch vor Ort selbst Risiko übernehmen. Hier wäre Unterstützung bei der Anpassung des Geschäftsmodells gefragt, waren sich die Experten einig. Damit der SDG-Zug abfahren kann, müssen wohl noch einige Schienen gelegt werden.


SDG-Märkte: Emerging Chances

Eine aktuelle dänische Studie sieht in sechs Sektoren große Herausforderungen, deren Lösungen Geschäftsmöglichkeiten für Unternehmen weltweit bieten.

Nahrungsmittelproduktion

Höheres Angebot an gesunden und erschwinglichen, nachhaltig produzierten Lebensmitteln; Reduktion von Lebensmittelabfällen

Bauwesen

Schaffung nachhaltiger, leistbarer und widerstandsfähiger urbaner Lösungen mit geringer Ressourcenintensität 

Energie

Bessere Nutzung erneuerbarer Energiequellen und Steigerung der Energieeffizienz

Natürliche Ressourcen

Verbesserung des Zugangs zu sauberem Wasser, Verringerung von Wasserverlusten und effizienteres Wassermanagement

Gesundheit

Erweiterung des Angebots an erschwinglichen und zugänglichen Gesundheitslösungen weltweit 

Transport

Steigerung der Effizienz und Nutzung der Verkehrsinfrastruktur; Weiterentwicklung emissionsarmer Verkehrslösungen inklusive Schifffahrt


Fotos: Mihai Mitrea, Weltbank: Rob Beechey, Gerardo Pesantez, Dana Smillie, Chhor Sokunthea, Maria Fleis