Interview

Alte Narrative

Ausgabe 94 – Frühjahr 2022

Laut dem Afrikanisten Martin Sturmer gründen stereotype Afrikabilder auf spezifischen Krisen.

Martin Sturmer, afrika.info
Martin Sturmer, afrika.info
Wie würden Sie das hierzulande vorherrschende Afrikabild zusammenfassen?

Sturmer: Thomas Seifert von der Wiener Zeitung hat einmal einen interessanten Satz gesagt: „Im medialen Theater bekommt jeder eine Rolle. Die Rolle Afrikas ist die der tragischen Figur, die am Ende sterben muss.“ Afrika ist der Kontinent, dem man am wenigsten zutraut. Und es gibt eine ganze Melange an Negativbildern, die sich etwa anhand der Cover des Time Magazine gut nachvollziehen lassen. Unter anderem wie Afrika als Kontinent der Krankheiten präsentiert wurde, Stichworte Aids und Ebola. Das ist der Nährboden, auf den dann die Corona-Berichterstattung traf. Weltweit sind Medien davon ausgegangen, dass über Afrika die weltweit größte Covid-Katastrophe hereinbrechen wird, mit zig Millionen Toten. Das sind die Erwartungshaltungen, die aus eingelernten Stereotypen entstehen.

„Wir wissen alles darüber, wie Afrikaner sterben, und wir wissen nichts darüber, wie sie leben“, hat der Schriftsteller Henning Mankell einmal gesagt. Woher rührt dieser Krisenfokus?

Sturmer: Das Berichterstattungsmuster der tragischen Figur hat sich seit dem Ende der Kolonialzeit eingeprägt. Der zaghafte Optimismus nach der Unabhängigkeit vieler Länder kehrte sich schnell ins Gegenteil um. Ausgangspunkt für den Negativhang war die Kongo-Krise ab 1960 und die Ermordung von Patrice Lumumba. Das hat sich dann fortgesetzt über die Hungerkrise in Biafra, die Schreckensherrschaften von Diktatoren wie Bokassa oder Idi Amin bis hin zu den Bürgerkriegen in Liberia oder Sierra Leone. Auf diesen Anlassfällen gründen heute noch die Narrative über den Kontinent des Hungers, der Despoten und der Brutalität. Zeitgleich gibt es dieses verklärte Bild des unberührten Afrikas: Dass die Afrikanische Entwicklungsbank die Industrialisierung des Kontinents propagiert, hören manche bei uns gar nicht gerne. Vielen wäre es lieber, Afrika bliebe ursprünglich.

Welche Auswirkungen haben derlei Bilder hinsichtlich der Wirtschaftsbeziehungen?

Sturmer: Einerseits verstärken die Bilder die Angst der Exporteure und Investoren vor Zahlungsausfall. Andererseits gilt Afrika immer noch als ein Spielplatz für Abenteurer. Mich hat ein Betrieb gefragt, ob ich einen Mitarbeiter begleiten kann, der das erste Mal nach Afrika fährt und dort einen Markt für 26 Länder aufbauen soll. Ganz ohne Erfahrung …

Foto: Sturmer

Zur Hauptstory