Dass man ein Nahrungsmittel nicht nur verzehren, sondern richtiggehend verehren kann, zeigt die Geschichte des August Engelhardt: Der deutsche Aussteiger erwarb Anfang des 20. Jahrhunderts die kleine Insel Kabakon im südpazifischen Bismarck-Archipel (in Papua-Neuguinea) und rief dort den Kokovorismus aus.

Kokovore August Engelhardt (stehend) verordnete sich und seinen Anhängern viel Sonne und eine strenge Kokosnussdiät
Kokovore August Engelhardt (stehend) verordnete sich und seinen Anhängern viel Sonne und eine strenge Kokosnussdiät

Das schlichte Konzept: Kokovoren dürfen sich ausschließlich vom vollkommensten Lebensmittel der Welt, der Kokosnuss, ernähren und müssen sich möglichst lange und vor allem unbekleidet in der Sonne aufhalten. So können sie laut Engelhardt einen „gott-ähnlichen Zustand der Unsterblichkeit erreichen“. Seine Thesen waren immerhin so überzeugend, dass ihm einige Anhänger aus Deutschland nachgereist sind.

Kokosnussisierung im Regal

Wer heute ein Leben als Kokovore wählen würde, müsste dafür nicht in die Südsee ziehen. Zumindest, was den Teil mit der strengen Kokosdiät betrifft. Denn die Zeiten, in denen man in Europa dem einprägsamen Kokos-geschmack nur in Form von Bounty, Piña Colada oder Panierflocken begegnen konnte, sind lange vorbei. Kokos findet sich heute in Suppen und in Fertig-Smoothies, als Müsli-Topping und Joghurt-alternative, in Waffeln, als Zuckerersatz und Backgrundstoff. In den Kosmetikabteilungen gibt es die Tropik-Ingredienz in Deodorants, Zahnpasten und Haarkuren. „Der Kokostrend kommt aus dem Thema gesunde Ernährung und Anti-Aging, und wird durch Hollywood-Stars und Influenzer unterstützt“, erklärt Spar-Sprecherin Nicole Berkmann, die Nachfrage nach Kokosprodukten sei bei Spar „in den vergangenen Jahren enorm gestiegen“. Bei Lebensmittelhändler Hofer registriert man Nachfrage vor allem nach Kokosmilch und Kokosblütenzucker, bei Drogeriemarkt DM finden „Produkte mit Kokos sowohl im Ernährungs- als auch im Beauty-Bereich sehr großen Anklang“, so Geschäftsführerin Petra Gruber.

Vor allem zwei Produkte erfreuen sich einer global wachsenden Fangemeinde: Kokoswasser und Kokosöl. Bei Kokoswasser handelt es sich um jene leicht trübe Flüssigkeit, die sich in unreifen, grünen Kokosnüssen befindet. Solche sind – nach einmonatiger Anreise im Kühlcontainer etwa aus Thailand – auch in heimischen Super-märkten zu finden und sind oft gleich mit Öffnung für den Strohhalm ausgestattet. Häufiger gibt es Kokoswasser abgepackt im Karton, in der Dose oder in der Flasche. Hier handelt es sich laut Global Info Research um einen 6,15 Mrd. Dollar (2017) großen Markt, für den jährliche Zuwachsraten im zweistelligen Bereich prognostiziert werden. In der Kokoswassersparte sind auch Getränkeriesen wie Coca Cola (mit der Marke Zico), PepsiCo (ONE) und Red Bull (Vita Coco) aktiv.

Vorsicht, Kokosnuss! Herabfallende Früchte sollen für den Menschen deutlich gefährlicher sein als Angriffe durch Haie. Kokosnussbedingte Todesfälle und Verletzungen werden allerdings in keiner internationalen Statistik eigens erfasst.
Vorsicht, Kokosnuss! Herabfallende Früchte sollen für den Menschen deutlich gefährlicher sein als Angriffe durch Haie. Kokosnussbedingte Todesfälle und Verletzungen werden allerdings in keiner internationalen Statistik eigens erfasst.

Kokoswasser ist im Übrigen nicht mit Kokosmilch zu verwechseln. Bei letzterer handelt es sich um das mit Wasser versetzte, ausgepresste weiße Fruchtfleisch der Kokosnuss. Die so gewonnene „Milch“ ist eine wichtige Zutat in der asiatischen Küche und bei Veganern als Kuhmilchalternative beliebt. Aus dem getrockneten Fruchtfleisch, Kopra genannt, wird Kokosöl gewonnen, das von der Nahrungsmittelindustrie sowie von der Pharma- und Kosmetikbranche nachgefragt wird (siehe unten).

Superfood-Image

Insbesondere das höherwertige, kalt gepresste Virgin Kokosöl boomt bei gesundheitsbewussten Verbrauchern dank Vermarktung als Superfood. Analysten gehen hier von einem heute mehr als zwei Mrd. Dollar großen Markt und mittelfristig jährlichen Zuwachsraten von fast zehn Prozent aus. Allerdings könnte die Kokosöl-Euphorie diesen Sommer einen Dämpfer erlitten haben. In einem auf Youtube veröffentlichten Vortrag hat Harvard-Professorin Karin Michels Kokosöl als „reines Gift“ bezeichnet. Der hohe Anteil an gesättigten Fettsäuren würde es zu einem „der schlimmsten Lebensmittel, das man essen kann“ machen.

Ob das folgende Medienecho dem an sich positiven Image der Kokosnuss nachhaltig schadet, ist schwer abzuschätzen. In den Erzeugerländern war man über Michels harsche Worte jedenfalls unglücklich. Sorgenvoll wurde über die Auswirkungen beim Sommer-Meeting der Asia Pacific Coconut Community APCC diskutiert. Das APCC ist ein Zusammenschluss von 18 Anbau-ländern im asiatisch-pazifischen Raum, die gemeinsam 90 Prozent aller Kokosnüsse ernten. Die Organisation – sie erfand den Weltkokosnusstag am 2. September – bemüht sich um die Stärkung des für viele Mitglieder wirtschaftlich wichtigen Sektors. Imageschädigendes ist da nicht gern gesehen. Michels Kommentare seien „unbegründet und rücksichtslos“, schrieb Indiens Kommissar für den Gartenbausektor, Srinivasa Murthy, an die Harvard T.H. Chan Schule für öffentliche Gesundheit, und bat um „Korrekturmaßnahmen“ und Zurücknahme der negativen Worte über jene Früchte, die „von Milliarden verehrt“ würden. Murthys Einsatz ist nachvollziehbar: Für südindische Staaten ist die Kokosnuss ein wichtiges Agrarprodukt, zudem entwickelt sich Indien zu einem der größten Kokosöl-Exporteure.

Senile Palmen

Angebaut wird die Kokospalme in 93 Ländern, im Tropengürtel von Brasilien bis Jamaika, von Nigeria bis Madagaskar, von Fidschi bis Samoa. Die Top 3 – Indonesien, Philippinen und Indien – finden sich alle in Südostasien. Die Früchte sind etwa für die Philippinen das wichtigste land-wirtschaftliche Exportprodukt: Im Jahr 2017 verkaufte der Inselstaat Kokosprodukte im Wert von 2,2 Mrd. Dollar ins Ausland – ein kräftiges Plus von 33 Prozent gegenüber 2016, so die United Coconut Association of the Philippines.

Kokosnüsse werden in 93 Ländern, von Fidschi über Thailand bis Brasilien, auf 12,3 Mio. Hektar Fläche angebaut. Die jährliche Welternte liegt bei rund 64 Mrd. Nüssen. Rund 70 Prozent der Ernte wird in den Anbauländern selbst konsumiert.
Kokosnüsse werden in 93 Ländern, von Fidschi über Thailand bis Brasilien, auf 12,3 Mio. Hektar Fläche angebaut. Die jährliche Welternte liegt bei rund 64 Mrd. Nüssen. Rund 70 Prozent der Ernte wird in den Anbauländern selbst konsumiert.

Der Kokosnussanbau ist vor allem eine kleinbäuerliche Angelegenheit. Laut Coconut Knowledge Center CKC liefern elf Millionen Kleinbauernfamilien 98 Prozent der globalen Ernte, die meisten von ihnen seien „sehr arm“. Der geringe Rest komme von Plantagen im Staats- oder Unternehmensbesitz. Gerade die kleinteilige Lieferstruktur befinde sich in einer „kritischen Phase“, warnt CKC-Chef Haigan Murray: „Auf der einen Seite sehen wir die schnell wachsende Nachfrage auf den globalen Märkten, auf der anderen Seite gibt es eine stagnierende, vom Kollaps bedrohte Versorgungsbasis“. In Zahlen ausgedrückt: Während die Nachfrage nach Kokosprodukten um zwölf Prozent pro Jahr steigt, wächst das Angebot um weniger als zwei Prozent – manche Daten weisen sogar auf leichte Rückgänge hin.

Ein Hauptproblem ist schlichtweg Alterung: Kokospalmen überschreiten nach 60 Jahren ihre Produktionsspitze und tragen dann immer weniger Nüsse. Eine philippinische Palme trägt heute nur noch 43 Nüsse im Jahr, unter optimalen Bedingungen wären aber bis zu 150 Stück drin. Global gesehen gilt bereits die Hälfte der Kokospalmen als zu alt, allein in der Asien-Pazifik-Region seien 370 Millionen „senile Bäume“ reif für die Fällung. Der Grund: der ökonomische Anreiz, in neue Bäume und Plantagen zu investieren, fehlt den Bauern bis heute – laut CKC hat sich die Einkommens-situation für sie bis heute nicht verbessert. Hinzu kommen Herausforderungen wie Extremwetterereignisse: 44 Millionen Palmen sollen alleine durch Super-Taifun Haiyan 2013 auf den Philippinen vernichtet worden sein. Auch in der Karibik ist man vor Wetterkapriolen nicht gefeit und auch dort zeigte man sich lange zurückhaltend bei Neupflanzungen. Dazu kommen Krankheiten wie „das tödliche Vergilben“, das in der Karibik und in Afrika schon zu massivem Palmensterben geführt hat.

Going Nuts

Kokosboom: 900 Millionen Kokospalmen müssten neu gepflanzt werden, um die große Nachfrage zu stillen
Kokosboom: 900 Millionen Kokospalmen müssten neu gepflanzt werden, um die große Nachfrage zu stillen

Kokosnüsse fallen also nicht automatisch von den Bäumen. Eine Neupflanzung in großem Maßstab – Schätzungen gehen von 900 Mio. Setzlingen aus – ist erforderlich, um die Nachfrage zu stillen. Das quantitative Angebot an Sämlingen ist allerdings begrenzt, außerdem braucht es neue Palmenvarianten, die mit sich ändernden Umwelt- und Klimabedingungen klar-kommen und krankheitsresistent sind. Möglichweise könnte es künftig mehr Zwergkokospalmen geben: diese tragen schon nach drei Jahren die ersten Früchte, während die hochwüchsige Form erst nach sechs bis acht Jahren so weit ist, sie überstehen eher schwere Unwetter – und, auch vorteilhaft, sie erleichtern die Pflege und Ernte.

Die Kokosnuss findet sich heute jedenfalls in vielen Strategie-papieren: Auf Fidschi verschenkt die Regierung neuerdings Setzlinge an Kleinbauern und vergibt Erfolgsprämien für jede gekeimte Pflanze. In Nigeria forciert eine neue Kokosnuss-Entwicklungsbehörde die Verteilung von Setzlingen und fördert Trainingsprogramme für Bauern und Kleinunternehmer. Auch Malaysias Regierung will mehr Kokosnüsse sehen, und zwar in der Exportstatistik: neue Hybridpalmen sollen die Erträge steigern und durch die lokale Verarbeitung zu hochwertigen Kokosprodukten will das Land die Pharmazie-, Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie beliefern. In einigen Anbauländern scheint nun jenes Motto zu gelten, unter dem die Philippinen im August den ersten World Coconut Congress veranstaltet haben: „The Time is now“.

Mehr Möglichkeiten

Zeit ist es jedenfalls, so Haigan Murray, über trendige Kokosprodukte hinauszudenken und auch die Abfallprodukte kommerziell zu nutzen: diese eignen sich als Rohstoff für die Strom- und Wärmegewinnung, für Faserplatten, organischen Dünger, als Tierfutter oder Kraftstoffzusatz. Bislang, so Daten des CKC, würden nur acht Prozent der Kokosschalen zu Kohle und Aktivkohle und nur ein Prozent der Fasern der Frucht-hüllen zu Textilfasern und Pflanzensubstrat verarbeitet. In diesen Nischenmärkten seien vor allem Indien und Sri Lanka aktiv, doch einen „Kokosnuss-Null-Abfall“-Ansatz empfiehlt Murray auch anderen Anbauländern. Zwei neue Projekte zeigen, wie innovative Verwertung aussehen kann: Schweizer Wissenschafter haben „Cocoboards“ aus Kokosschalen entwickelt, die sich für den preiswerten Innenausbau eignen und testen nun die Produktion und den Verkauf auf den Philippinen. Das holländische Unternehmen CocoPallet stellt wiederum Versandpaletten aus Kokosnussabfällen her – eine umweltschonende Alternative zu herkömmlichen Paletten, da für die Herstellung keine Bäume gefällt werden müssen und die Bauern ihre Kokosabfälle nicht länger verbrennen.

Dass die Kokospalme als „Baum der hundert Möglichkeiten“ gilt, kommt also nicht von ungefähr. Nur im Speiseplan braucht es dann doch etwas Abwechslung. August Engelhardt wollte seinen Kokoskult vom Pazifikraum über Zentralafrika bis Südamerika verbreiten, starb aber mit nur 44 Jahren ausgehungert und entkräftet. Von seinen Anhängern ist auch nicht bekannt, ob sie dank Kokosnuss Erleuchtung und ewiges Leben erlangt haben.


Multitalent

Alleskönner Kokospalme
Alleskönner Kokospalme

Die Kokospalme, auch „Baum des Lebens“ genannt, verdankt diesen Beinamen ihren vielseitigen Verwertungsmöglichkeiten. Eine Auswahl: Kokoswasser – die trübe, sterile Flüssigkeit der Kokosnuss – eignet sich als Erfrischungsgetränk und kann sogar Patienten intravenös verabreicht werden. Das Wasser lässt sich auch zu Essig vergären oder zum Gelee „Nata de Coco“ fermentieren. Palmnektar, der vor allem aus den Blüten gewonnen wird, wird zu Palmwein vergoren oder zu Palmzucker eingedickt. Kopra – das weiße Fruchtfleisch der Kokosnuss – lässt sich zu Kokosmilch und -raspeln verarbeiten. Hauptsächlich aber gewinnt man durch Pressen Kokosöl, das nicht nur zum Kochen verwendet wird, sondern von der Süßwaren-industrie (Eis, Überzugsmassen, Schokolade), für kosmetische und pharmazeutische Zwecke (Cremes, Shampoos) sowie als Rohstoff für die Oleochemie (Seifen, Tenside, Reiniger) eingesetzt wird. Aus Kokosöl wird außerdem Biodiesel hergestellt. Koprakuchen – der eiweißreiche Rückstand nach der Ölextraktion – dient als Viehfutter und Düngemittel. Die harte Kokosschale eignet sich wiederum für die Herstellung von Briketts und Aktivkohle. Letztere wird in der Abwasseraufbereitung eingesetzt – und als natürlicher Aufheller in der Zahnpflege. Die Fasern der äußeren Umhüllung der Kokosnuss, auch Coir genannt, werden zu Seilen, Matten, Teppichen, Wand-verkleidungen und Textilien verarbeitet. Die Fasern eignen sich zudem als Füllmaterial für Matratzen, Autositze und zur Wärme-dämmung. Das Holz der Kokospalme findet sich in Fußböden, Musikinstrumenten und Ziergegenständen. Aus der Wurzel gewinnt man Rohstoffe für medizinische Produkte und Farben.

Fotos: Tony Hisgett/Flickr, Antonio Cinotti/Flickr, Theo Crazzolara/Flickr, unbekannter Fotograf (1906), Fotosearch