Eigentlich hätten sich Mitte Juni im New Yorker Hauptquartier der Vereinten Nati-onen VN rund 1.500 hochrangige Führungskräfte aus aller Welt tummeln sollen. Denn der Gastgeber United Nations Global Compact zelebrierte sein 20-jähriges Bestehen. So lange gibt es schon die laut Eigendefinition „weltweit größte Initiative für nachhaltiges Wirtschaften“. Das physische Gipfeltreffen ist allerdings, wie so viele Veranstaltungen in diesem Jahr, der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen.

Virtuell fand der „Leaders’ Summit“ dennoch statt, und das ziemlich geballt: Am 15. und 16. Juni wurden insgesamt 26 Stunden Plenarsitzungen, Breakout Ses-sions und Networking-Chats live um den Erdball gestreamt. Staatspräsidenten und Minister diskutierten mit Spitzenmanagern und VN-Vertretern über Pandemie, Klimawandel und Nachhaltigkeit.

Kofi Annan rief den Global Compact im Jahr 2000 ins Leben

Wirtschaften mit Prinzipien

Der Global Compact war ein Herzensprojekt des damaligen, mittlerweile verstorbenen VN-Generalsekretärs Kofi Annan. „Solange Globalisierung nicht für alle funktioniert, wird sie für niemanden funktionieren“, sagte er in einer Rede am Weltwirtschaftsforum in Davos 1999 und forderte Unternehmensvertreter auf, an einer inklusiven, ressourcenschonenden und nachhaltigen Weltwirtschaft mitzuwirken. Eineinhalb Jahre später, am 26. Juli 2000, folgte der operative Launch des neuen Pakts zwischen Unternehmen und Vereinten Nationen. Als gemeinsames Fundament wurden universelle Prinzipien zu Menschenrechten, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung vereinbart (siehe unten).

Wer dem Global Compact beitritt, verpflichtet sich zur Einhaltung dieser zehn Prinzipien. Später wurde auch die Förderung der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung Teil der Abmachung. Mithilfe der 17 Sustainable Development Goals SDG sollen Unternehmen ihren Beitrag leisten, sodass bis 2030 Hunger und extreme Armut beseitigt sowie Geschlechtergleichstellung, Klimaschutz oder der Erhalt der Ökosysteme erreicht werden.

10 Prinzipien für eine bessere Welt

Menschenrechte

Prinzip 1: Unternehmen sollen den Schutz der internationalen Menschenrechte innerhalb ihres Einflussbereichs unterstützen und achten und

Prinzip 2: Sicherstellen, dass sie sich nicht an Menschenrechtsverletzungen mitschuldig machen.

Arbeitsnormen

Prinzip 3: Unternehmen sollen die Vereinigungsfreiheit und die wirksame Anerkennung des Rechts auf Kollektivverhandlungen wahren sowie ferner für

Prinzip 4: die Beseitigung aller Formen der Zwangsarbeit,

Prinzip 5: die Abschaffung der Kinderarbeit und

Prinzip 6: die Beseitigung von Diskriminierung bei Anstellung und Beschäftigung eintreten.

Umweltschutz

Prinzip 7: Unternehmen sollen im Umgang mit Umweltproblemen einen vorsorgenden Ansatz unterstützen,

Prinzip 8: Initiativen ergreifen, um ein größeres Verantwortungsbewusstsein für die Umwelt zu erzeugen, und

Prinzip 9: die Entwicklung und Verbreitung umweltfreundlicher Technologien fördern.

Korruptionsbekämpfung

Prinzip 10: Unternehmen sollen gegen alle Arten der Korruption eintreten, einschließlich Erpressung und Bestechung.

Wöchentlich treffen Beitrittserklärungen aus aller Welt in der Third Avenue im Herzen von New York ein. Rund 11.000 Unternehmen umfasst die Mitgliederdatenbank derzeit. Zu den jüngsten zählt etwa die deutsche Schwarz Gruppe und ihre Handelssparten Lidl und Kaufland mit 430.000 Mitarbeitern. Und mit Real Madrid ist seit Mai auch der erste Fußballclub mit von der Partie.

Insgesamt ist der Global Compact ziemlich bunt: Auch 3.500 NGO, akademische Einrichtungen, Verbände und Städte wie São Paulo und Dubrovnik haben unterzeichnet. So gut wie jede Organisation ist willkommen. Ein dezidiertes „No-Go“ gilt nur für Unternehmen, die VN-Sanktionen unterliegen, Waffen verkaufen oder in der Tabakherstellung tätig sind. Mit Teilnehmern in 161 Ländern von Afghanistan bis Zypern ist der Global Compact tatsächlich zur globalen Initiative herangewachsen, in 68 Ländern bestehen zudem lokale Netzwerke. Die öster-reichische Zweigstelle, die bei der Unternehmensplattform respACT in Wien angesiedelt ist, feiert 2021 ihren 15. Geburtstag. Erste heimische Mitglieder waren die OMV und Wienerberger, gegenwärtig zählt das Netzwerk in Österreich rund 125 Teilnehmerorganisationen.

Besseres Business

Stefanie Weniger, respACT

Der Global Compact ist als offenes Forum gestaltet, über das die Teilnehmerorganisationen „Erfahrungen austauschen, Ideen weiterentwickeln und Partnerschaften lancieren“ können. „Wir sehen uns als Innovationsinkubator, der nachhaltige Entwicklung vorantreiben will“, sagt Stefanie Weniger vom österreichischen Netzwerk.

Seit 2015, als die Vereinten Nationen die 17 Sustainable Development Goals verabschiedeten, versucht der Global Compact Unternehmen für deren Umsetzung zu gewinnen. Es gilt, „Möglichkeiten zu erkennen, wo sich das Geschäft mit der Agenda 2030 überschneidet, sodass neue Lösungen entstehen, die uns voranbringen“, sagt die ehemalige Global Compact-Geschäftsführerin Lise Kingo. Kingo initiierte gemeinsam mit lokalen Netzwerken Kampagnen wie „Making Global Goals Local Business“, um Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es sich dabei um ein echtes Managementthema handelt. Außerdem wurden als Hilfestellung für Unternehmen eine Reihe von Leitfäden und Aktionsplattformen lanciert.

Der UN Global Compact will Unternehmen die strategische Bedeutung der 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung vermitteln.

Und stets geht es um Vorbilder: Unternehmen oder Einzelpersonen, die sich besonderes engagieren, werden vor den Vorhang geholt. So kürt der Global Compact sogenannte Lead Companies, die durch innovative Ansätze in Bereichen wie Wasser- und Klimaschutz, Anti-Korruption oder Gleichstellung von Männern und Frauen Fortschritte erzielen. Zu den aktuell 36 führenden Firmen zählen Bayer, die China Development Bank, L‘Oreal und Unilever. Personen, die in ihren Unternehmen die SDG-Umsetzung vorantreiben, werden wiederum als SDG-Pioniere gewürdigt oder als junge SDG-Innovatoren in einem zehnmonatigen Programm gefördert.

Eines ist der Global Compact jedoch nicht: ein zertifizierbarer Standard für verantwortungsvolle Unternehmensführung. Und er verurteilt Mitgliedsunternehmen auch nicht, die die Prinzipien verletzen. Man sieht sich eher als Leit- denn als Wachhund, heißt es aus der Zentrale. Diesem positiven Zugang kann nicht jeder etwas abgewinnen. Schon seit seinen Anfängen wird dem Pakt Zahnlosigkeit und Unverbindlichkeit vorgeworfen. Kritik dieser Art ist bis heute nicht ganz verhallt. „Leider ist zweifelhaft, ob der Global Compact Veränderungen im Verhalten der Unternehmen bewirkt oder ob er den Unternehmen nur eine Plattform für unzureichende Versprechungen bietet“, so Nathalie Rengifo von der NGO Corporate Accountability. Sie ortet vor allem eine PR-Initiative, die Blue Washing erlaubt – ein Begriff, den Kritiker in Anspielung auf das blaue Logo der VN verwenden. Rengifo wünscht sich, dass der Global Compact „Unternehmen ausschließt, wenn ein Verstoß gegen die Prinzipien evident ist, und Bemühungen unterstützt, um Unternehmen auch tatsächlich verantwortlich zu machen.“

Berichten und entrichten 

Tatsächlich streicht der Global Compact laufend Teilnehmer aus seiner Datenbank – allerdings nicht die Schlimmen, sondern die Stillen. Denn Unternehmen müssen einmal jährlich ihre Fortschritte bei der Umsetzung der zehn Prinzipien veröffentlichen. Wer keinen Communication on Progress COP einreicht, dem droht die Herabstufung des Teilnehmerstatus von aktiv auf „nicht kommunizierend.“ Und wer zwei Jahre säumig ist, riskiert den Rauswurf. Laut Datenbank des Global Compact betraf das bis dato immerhin 13.000 Teilnehmer.

Der Aufwand für einen solchen COP ist in der Praxis überschaubar. „Große Unternehmen erstellen heute meist ohnehin Nachhaltigkeitsberichte, die mit Anpassungen als COP akzeptiert werden. Und kleineren Teilnehmern ist die Einreichung von Kurzberichten erlaubt“, erklärt Weniger. Aktuell arbeite der Global Compact an einem neuen Berichtsmodus, der für 2021 angekündigt ist. „Damit werden die Transparenz gestärkt und Fortschritte im Bereich der SDG besser darstellbar“, so Weniger, und: „Unternehmen sollten dann einen höheren Mehrwert aus der Berichtslegung ableiten können.“

Erst seit 2018 müssen Mitglieder Beiträge an die Global Compact-Stiftung bezahlen, die 40 Prozent an die jeweiligen lokalen Netzwerke weiterreicht und fünf Prozent in den Aufbau neuer Knotenpunkte etwa in Entwicklungsländern investiert. Für Unternehmen liegen die Beiträge umsatzabhängig zwischen 1.250 und 20.000 Dollar pro Jahr. Sie können dabei zwischen zwei Angeboten wählen: der Basisvariante als Unterzeichner oder der doppelt so teuren Premiumvariante als Teilnehmer. Während alle Mitglieder Zugang zu Lern- und Dialogformaten sowie den Veranstaltungen der lokalen Netzwerke erhalten, stehen Teilnehmern auch alle internationalen Angebote wie Weiterbildung und Coachings durch die UNGC Academy oder exklusive Konferenzen offen.

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In Österreich haben sich heuer mehr als 20 Unternehmen dem Pakt angeschlossen. Neu dabei sind beispielsweise Cleen Energy, ein niederösterreichisches Start-up rund um Erneuerbare Energie und Energieeffizienz mit 23 Mitarbeitern sowie Egger Holzwerkstoffe aus Tirol mit 9.600 Mitarbeitern und Werken von Argentinien bis Russland. An das Thema Nachhaltigkeit müssen beide Unternehmen nicht erst herangeführt werden. Der Beitritt zum Global Compact ist vor allem ein Signal nach außen.

Lukas Scherzenlehner, Cleen Energy

„Standards wie die der Global Reporting Initiative sind nicht für alle Stakeholder leicht greifbar. Die zehn Prinzipien sind eingängig und bieten einen nachvollziehbaren Rahmen für die Ausrichtung wirtschaftlichen Handelns am gesellschaftlichen und ökologischen Wohl“, sagt Moritz Bühner, Nachhaltigkeitsmanager bei Egger. Die Mitgliedschaft diene außerdem der Fortbildung und dem Austausch. Und für Cleen Energy-Chef Lukas Scherzenlehner war der Beitritt schon allein wegen des Tätigkeitsfelds seines Start-ups „ein logischer Schritt“. Er möchte sich „insbesondere zu nachhaltigen Finanzthemen aktiv einbringen“ und freue sich auf Gleichgesinnte, spannende Veranstaltungen und „ein Netzwerk, das gemeinsam mehr erreichen kann.“

Luft nach oben

Wie viel das Netzwerk tatsächlich erreicht, ist schwer einzuschätzen. Denn auch wenn viele Unternehmen über Nachhaltigkeitsstrategien, Richtlinien und Verhaltenskodizes verfügen, so sei dies keine Garantie für eine messbare Wirkung, bedauert selbst Lise Kingo. Dem aktuellen Fortschrittsbericht des Global Compact ist jedenfalls zu entnehmen, dass heute zwar mehr als 90 Prozent der Mitglieder die zehn Prinzipien in ihre Strategien übernommen haben, aber viele keine konkreten Maßnahmen zu deren Umsetzung setzen. Und nur 46 Prozent der Mitglieder geben an, die SDG in ihr Kerngeschäft zu integrieren.

Auch Harvard-Professor Mark Kramer kommt in einer vergangenes Jahr veröffentlichten Studie zu einem eher ernüchternden Ergebnis: „Das Engagement fast aller von uns untersuchten Unternehmen scheint rein kosmetischer Natur zu sein: Ini-tiativen zur sozialen Verantwortung von Unternehmen wurden einfach analog zu den entsprechenden Zielen umbenannt. Wir fanden nur sehr wenige Unternehmen, die etwas Neues oder Anderes tun, um die SDG voranzubringen.“

Eine Graduierung des Engagements zeige sich auch in Österreich, so Weniger: „Es gibt Unternehmen, die mit den SDG wirklich arbeiten und in ihr Kerngeschäft integrieren. Dann gibt es einige, die sich ernsthaft mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen, dies aber in der Kommunikation nicht an den SDG aufhängen. Und es gibt jene, die das tun, was sie schon immer getan haben, und diese Aktivitäten dann den SDG zuordnen.“ Es gelte daher, so Weniger, noch stärker denn je zu betonen, dass sich eine strategische Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit für die Unternehmen lohnt: „Wir glauben, dass Unternehmen mit einem Fokus auf nachhaltige Entwicklung besser durch Krisen kommen. Sie sind innovativer, entwickeln neue Geschäftsmodelle und Produkte und erhöhen so Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz.“

Amtsübergabe: Die Kenianerin Sanda Ojiambo übernahm Mitte Juni die Agenden von Lise Kingo als Generalsekretärin des Global Compact. Das gemeinsame Bild stammt aus 2018.

Recover Better

Anfang des Jahres hat der Global Compact das Jahrzehnt des Handelns ausgerufen und Unternehmen zu mehr Ambition aufgefordert. Inzwischen hat die Corona-Pandemie die Weltwirtschaft auf den Kopf gestellt, mit noch nicht absehbaren langfristigen Auswirkungen. Manche befürchten, dass viele positive Ansätze zunichte gemacht werden. Denn während in vielen Ländern Armut wieder zunimmt, könnte das Engagement etwa für Klimaschutz abnehmen. Andere wie-derum erhoffen sich einen globalen Neustart und einen nachhaltigen Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Krise. Der Global Compact hat dafür bereits den passenden Slogan: „Recover better.“ Und auf der virtuellen Konferenz präsentierte man zehn neue ehrgeizige, transformatorische Ziele, die Unternehmen nun in Angriff nehmen sollen.

Dem Global Compact mangelt es also nicht an Ambitionen und Appellen. Die Aufgabe, diese in die Welt hinauszutragen, hat Lise Kingo Mitte Juni weitergegeben. Nun ist die kenianische Managerin Sanda Ojiambo Chefmotivatorin für nachhaltiges Wirtschaften. Eines scheint sicher: Ihr Aufgabengebiet hat Lang-fristperspektive.

Fotos: Wikimedia_UN Geneva Office, Cleen Energy, respACT, UNGC, UNGC/Elma Okic (2)