Freiheit und Sicherheit sind nicht nur zwei hochkomplexe Begriffe, die uns tagtäglich begleiten – vom politischen Diskurs bis zur Diskussion mit der Tochter über nächtliche Ausgehzeiten. „Freiheit und Sicherheit“ lautet auch das Generalthema des heurigen Europäischen Forum Alpbach. Die beiden Werte stehen in Wechselwirkung, Freiheit heißt, auch ein gewisses Maß an Unsicherheit zu akzeptieren, Sicherheitsmaßnahmen schränken Freiheit ein.

Freiheit – etwa der Meinung, Presse und Bewegung – stellt in aufgeklärten Demokratien einen zentralen Wert dar. Auch der Anspruch auf persönliche Sicherheit ist hoch, nicht erst seit der damalige deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich vor einigen Jahren Sicherheit – im Kontext terroristischer Gefahren – zum „Supergrundrecht“ erhob. Die Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung und damit eines friedlichen Zusammenlebens ist die zentrale und oberste Aufgabe des Staates. Dabei können sicherheitspolitische Maßnahmen jedoch einen empfindlichen Eingriff in die Freiheit der Bürger bedeuten. Dass wir uns hier bereits in einer Schieflage befinden, suggeriert die ins Thema einleitende Frage der Veranstalter des Forum Alpbach: „Wann und warum haben wir es aufgegeben, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit zu finden?“

Wenn Sicherheit Kontrolle wird

Diskussionen um freiheitsberaubende Sicherheitsstaaten hängen heute eng mit den neuen technologischen Möglichkeiten zusammen. Auf der einen Seite bringen die neuen Technologien die Welt – und damit die Freiheit – ins abgelegenste Dorf. Andererseits können beispielsweise Smartphonedaten als Basis der Totalüberwachung missbraucht werden. Entsprechende Entwicklungen lassen sich zur Zeit in China beobachten. Rund um den Erdball sei eine „Offensive gegen die Meinungsfreiheit“ in Gang, beklagt die NGO Freedom House, die jährlich den „Freedom in the World“-Index herausbringt (siehe Grafik). Allein im vergangenen Jahr haben weltweit 25 Regierungen in ihrem Land das Internet blockiert. Zuletzt wurden etwa im Sudan, im Kongo und im Tschad die sozialen Netzwerke gesperrt, um Proteste zu unterdrücken – in der umkämpften Kaschmir-Region hat die indische Regierung heuer bereits mehr als 50 Mal das Internet „abgeschaltet“. Laut Freedom House trägt China dabei als Exporteur seiner umfassenden Internetzensur und -überwachung eine besondere Verantwortung.

Daten und Fakten: Freiheit als Privilieg 

Während zwischen 1988 und 2005 die Freiheit der Menschen weltweit ständig zunahm, ist sie nun das 13. Jahr in Folge rückläufig. Die Freiheitseuphorie nach 1989 scheint verfrüht gewesen zu sein.
Während zwischen 1988 und 2005 die Freiheit der Menschen weltweit ständig zunahm, ist sie nun das 13. Jahr in Folge rückläufig. Die Freiheitseuphorie nach 1989 scheint verfrüht gewesen zu sein.

Wirbel um Facebook

Doch auch die Frage nach einer Verantwortlichkeit weltweit operierender Technologieunternehmen gerät verstärkt in den Fokus. In Afrika und auch in einigen Ländern Asiens und Lateinamerikas, die eine schwache digitale Infrastruktur haben, hat Technologieriese Facebook durch sein Free Basics Netzwerk vielen Menschen die Internetnutzung überhaupt erst möglich gemacht. Das Unternehmen will so mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung „ins Internet bringen“ – in sein eigenes Internet wohlgemerkt. Denn die Free Basics App lässt die Handynutzer kostenlos auf abgespeckte Versionen von Facebook und einigen von Facebook ausgewählten, zumeist US-amerikanischen Online-Angeboten zugreifen. Ellery Biddle, Direktorin der Digital-NGO Global Voices, die eine Studie zu Free Basics veröffentlicht hat, spricht in diesem Zusammenhang von „digitalem Kolonialismus“.

Cathryn Clüver Ashbrook, Harvard Kennedy Schoo
Cathryn Clüver Ashbrook, Harvard Kennedy School

Das selektive Angebot hat etwa in Indien zu Massenprotesten gegen die Verletzung der Netzneutralität geführt, woraufhin die indische Telekom-Aufsicht Free Basics letztlich verbot. Vor allem in Afrika gelingt es aber Regierungen, sich über Free Basics Zugang zu Daten zu verschaffen: „Etwa in Kenia wird Free Basics ganz explizit von der Regierung genutzt, um Regierungskritiker zu verfolgen“, sagt Cathryn Clüver Ashbrook. Die Harvard-Politologin leitet heuer beim Forum Alpbach eine Veranstaltung mit dem Titel „Digitale Diplomatie vs. Digitaler Kolonialismus“. Die Digitalisierung verspricht laut Clüver für viele Entwicklungsländer Freiheit und immense wirtschaftliche Chancen. Zeitgleich ebne sie aber den Weg für neue Abhängigkeiten von vor allem US-amerikanischen, aber auch chinesischen Unternehmen und biete Möglichkeiten für politischen Machtmissbrauch: „Das furchtbarste Beispiel ist die Vertreibung der Rohingya von Myanmar nach Bangladesch, angetrieben durch Fehlinformationen über soziale Netzwerke. Aber auch der populistische Wahlkampf Jair Bolsonaros in Brasilien wurde zuerst von YouTube ermöglicht und dann de facto von WhatsApp getragen, wo politische Botschaften gestreut wurden, die sich als Fehlinformationen erwiesen“, sagt Clüver.

Gerade Facebook verwendet in Schwellen- und Entwicklungsländern andere Geschäftsmodelle als in den Industriestaaten, da dort weit weniger Gewinn mit Anzeigen generiert wird – in Indien sind es drei Dollar pro Nutzer und Quartal, in den USA mehr als das Zehnfache. Das globale Finanznetzwerk, das Facebook mit der Digitalwährung Libra derzeit aufbaut, ist ebenfalls vor allem auf Menschen in Entwicklungsländern ausgerichtet: „Banking the Unbanked“, heißt die Losung.

Unterschiedlicher Bedarf

Auch in Europa wird vehement über den Einfluss von Facebook, über Echokammern und Fake News diskutiert. Die Problemlage ist laut Clüver dennoch bislang deutlich anders als in Schwellen- und Entwicklungsländern, da in diesen ganz andere Voraussetzungen herrschen: „Erstens die flächendeckend mangelhafte Bildung. Dann natürlich die nicht vorhandene IT-Bildung und -Ausbildung. Und drittens fehlt zumeist eine resiliente und freie Presse. Wenngleich es sich vor Ort anders anfühlen mag, sind Österreich und Deutschland noch immer deutlich schwächere Angriffsflächen für populistische Manipulationen über soziale Medien.“ Auch deshalb, weil traditionelle Medien hier immer noch stark genutzt werden.

Hauptsache Connected: Handyreparatur in Liberia
Hauptsache Connected: Handyreparatur in Liberia

Zudem können die Ansprüche an Freiheit und Sicherheit kulturell sehr unterschiedlich sein. In Europa wird vor allem über Datenklau, Privatsphäre im Internet und dabei, nicht erst seit dem Cambridge-Analytica-Skandal, gerade Facebooks laxe Einstellung gegenüber Datenschutz gestritten – ein Thema, das in Afrika keine große Rolle spielt. Titi Akinsanmi, ebenfalls Harvard- Forscherin mit Schwerpunkt Digitalisierung in Afrika, die an Clüvers Workshop in Alpbach teilnimmt, gibt im Interview auf good-id.org zu bedenken, dass es keine universale Definition von Datenschutz – beziehungsweise ganz generell von Privatsphäre – gebe: „Denken Sie an die typische afrikanische Gemeinschaft: ‚Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen‘, lautet das Motto. Du weißt, dass du jedermanns Angelegenheit bist. Das bedeutet technisch gesehen, dass das Wissen über deine Identität von jedem geteilt wird. Wie soll man nun plötzlich in einem digitalen Raum Privatsphäre besitzen?“

Wenn man zudem Sicherheit als „die dauerhafte Gewährleistung eines hohen Niveaus an Lebensgrundlagen und Entfaltungsmöglichkeiten für alle Mitglieder der Gesellschaft“ definiert, wie es das dem österreichischen Verkehrsministerium BMVIT unterstehende Sicherheitsforschungsprogramm Kiras tut, eröffnet Facebook trotz aller Kritik bisher ungeahnte Chancen (und damit womöglich Sicherheiten) in Entwicklungsländern.

Ruf nach Regulierung

Bereits vor zwei Jahren wurde beim Forum Alpbach über digitale Freiheit und Sicherheit und die Rolle von Facebook diskutiert, damals sagte Sarah Spiekermann, Professorin für Wirtschaftsinformatik an der WU Wien und Expertin für digitale Ethik, dass das Geschäftsmodell von Facebook mit europäischen Werten und Grund- und Freiheitsrechten nicht kompatibel sei. Clüver sieht bei Facebook jedoch einen Lernprozess und der Kommunikationschef des Unternehmens, Nick Clegg, überraschte bei einem Besuch in Berlin kürzlich mit der Aussage: „Facebook will reglementiert werden.“ Clüver zufolge ist die Ansage glaubwürdig, Facebook stelle sich den wichtigen Fragen sehr offen. „Das kann man von den größten Konkurrenten, den chinesischen Technologieunternehmen wie Huawei nicht sagen. Sie verkabeln, vernetzen und liefern zugleich auch noch ihre Überwachungstechnologie an Länder in Afrika oder Indien“, sagt die Harvard-Forscherin und stellt die Frage in den Raum: „Geraten die USA und China in eine neue Art des Kalten Krieges, mit den digitalen Technologien im Zentrum?“

Um zu verhindern, dass dieser vor allem auf dem afrikanischen Kontinent ausgefochten wird, denken Clüver und ihre Workshop-Teilnehmer in Alpbach über eine neue internationale Institution nach, die Afrika stärker in die digitalisierte und globalisierte Welt einbinden soll, ohne dass es zum Spielball von Interessen anderer wird. Das soll den Kontinent vor „der Wiederkehr des Ausbeutungsnarrativs“ schützen, so Clüver. Solche Initiativen entbinden die Staaten allerdings nicht von ihrer zentralen Aufgabe, Sicherheit und Freiheit ihrer Bürger zu schützen – sowohl analog als auch digital.


Forum Alpbach 2019: Neue Perspektiven

Im Rahmen von rund 120 Veranstaltungen bearbeiten in Alpbach hochkarätige Gäste aus aller Welt das komplexe Verhältnis von Freiheit und Sicherheit.
Debatten-Hotspot: Congress Centrum Alpbach
Debatten-Hotspot: Congress Centrum Alpbach

Vom 14. bis 30. August 2019 tauschen sich rund 5.200 Teilnehmer aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur bei der 74. Ausgabe des Europäischen Forum Alpbach zu aktuellen Fragen der Zeit aus. Freiheit und Sicherheit sind die beiden übergeordneten Begriffe, die den vielschichtigen Plenen, Breakout-Sessions und weiteren Veranstaltungsformaten als Referenzpunkte dienen. Dabei will das Forum nicht nur den Ist-Zustand analysieren und Ursachenforschung betreiben, sondern neue Perspektiven aufzeigen – und somit als „Inkubator“ dienen, wie Forum-Präsident Franz Fischler betont. Ágnes Heller, die ungarische „Philosophin der Freiheit“, sollte das heurige Forum eröffnen, verstarb aber im Juli 90-jährig. Josef Mitterer verlas zum Auftakt ihre kurz vor dem Tod verfasste Rede.

Foto: THEMEPAP/FLICKR, WIDIMEDIA COMMONS/KARL GRUBE