Seit Wochen breitet sich SARS-CoV-2 auch in Ländern mit fragilen Gesundheitssystemen aus“, sagt George Ulmann, „das dortige Ärzte- und Pflegepersonal will daher von Europa lernen, insbesondere zu Fragen rund um die Diagnose, Behandlung und Eindämmung von Covid-19.“ 

Ulmann ist Mitbegründer und Manager von MedShr, der führenden Diskussionsplattform für Ärzte und Krankenpflegepersonal. Sie ist als App konzipiert und via Smartphone und Internetverbindung weltweit zugänglich. MedShr bot sich somit als Vehikel für den Transfer von Praxiswissen zu Covid-19 in Entwicklungsländer an. 

Safe and Easy

Medshr-Gründer Kardiologe Asif Qasim und George Ulmann

Die App verdankt ihre Entwicklung einem Londoner Kardiologen, der Bedarf sah an einer sicheren Plattform für den fachlichen Austausch unter Medizinern. „Um klinische Fälle zu diskutieren, nutzen Ärzte mitunter Facebook, Whatsapp oder Twitter“, erklärt Ulmann, „doch keiner dieser Kanäle bietet einen ausreichend geschützten Raum, weshalb sie sich in Wahrheit nicht dafür eignen.“ MedShr löst dieses Problem: Die App erfüllt strengste Kriterien bei Datenschutz und -sicherheit. So werden etwa sämtliche Fälle anonymisiert und Bilder und Filme von Patienten können nur mit deren Einverständnis geteilt werden. Dazu werden Krankengeschichten, -bilder und Diskussionen verschlüsselt gespeichert, um eine Nutzung außerhalb der App zu verhindern. Allem voran ist MedShr ausschließlich für verifiziertes Gesundheitspersonal zugänglich, die Authentizität der Nutzer wird einzeln geprüft. Selbst Kooperationspartner aus der Industrie und andere Sponsoren haben keinen Zutritt, was die offene Diskussion innerhalb der Community ermöglicht. 

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den Umgang mit Covid-19.

MedShr ist dabei einfach in der Handhabung. So können User etwa alle Schritte für eine Fallpräsentation direkt über die App abwickeln. Bei Aufbau und Nutzung erinnert MedShr an Facebook oder Linkedin, wie Ulmann erklärt: „MedShr ist ein Ort zum Stöbern, aber auch zum Austauschen und Diskutieren. Man kann sich hier dreißig Sekunden, drei Minuten oder drei Stunden aufhalten.“ Die Inhalte werden knapp und einprägsam präsentiert und können jeweils vertieft werden. Die User schließen sich je nach Fach, Interessen oder Region verschiedenen Netzwerken an. Der Zugang ist dank Sponsorings von Industriepartnern, die über MedShr ihre Produkte bekannt machen wollen, für die Nutzer gratis. 

Partner in Österreich

Ulmann kam vor zwei Jahren als Teil einer Londoner Delegation mit dem Health Hub Vienna, einem von INiTS – Universitäres Gründerservice Wien geführten Start-up-Accelerator, in Kontakt. Ein Jahr später bewarb er sich erfolgreich mit MedShr für dessen Förderprogramm. Dieses öffnete ihm Türen zu österreichischen Pharmafirmen. Kooperationschancen ergaben sich auch mit der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. So arbeitete Ulmann mit der Austrian Development Agency ADA an Plänen für die Behandlung von Malaria und ansteckenden Krankheiten in Entwicklungsländern durch gezielte Information von Ärzten. 

Nach Ausbruch der SARS-CoV-2-Pandemie einigte man sich rasch, den Fokus zu ändern. Und schon im April startete MedShr im Rahmen einer ADA-Wirtschaftspartnerschaft ein einjähriges digitales Fortbildungsprogramm zu Covid-19 für Gesundheitspersonal in Afrika und im Nahen Osten. „Die grenzüberschreitende digitale Vernetzung ist gerade in Zeiten globaler Reisebeschränkungen eine geeignete Methode, um Ärzte beim Kampf gegen das Coronavirus zu unterstützen“, begründet ADA-Geschäftsführer Martin Ledolter die Förderung (siehe auch Interview Seite 16).

Eigenes Programm

MedShr hatte seine Klientel in Europa und in den USA mit Daten und Erfahrungen zu Covid-19 aus Asien versorgt. Nun galt es, ein Fortbildungsangebot für medizinisches Fachpersonal zusammenzustellen, das nur über begrenzte Mittel verfügt. 

Binnen weniger Wochen hatte das MedShr-Ärzteteam mit Fallbeispielen und kuratierten Artikeln ein 22-teiliges Programm zu Themen, die von der Diagnose bis zur intensivmedizinischen Behandlung von Covid-19 reichten, erstellt und dabei lokale Gegebenheiten ebenso berücksichtigt wie die Erfahrungen einzelner Ärzte in Afrika und Vorderasien. Und während das klinische Team die Falldiskussionen verfolgte, um bei Bedarf weiteres Know-how bereitzustellen, standen die Kollegen der Technik bereit, die teils noch ungeübten User in der Zielregion beim Arbeiten mit der App zu unterstützen. Zusätzlich wurde Personal für die Abwicklung des Aufnahmeprozesses für Neuanmeldungen bereitgestellt. 

Ulmann beziffert die Menge an Ärzten und Krankenhauspersonal, die er über dieses Projekt erreichen will, mit mindestens 150.000. Das sei in etwa die kritische Menge, um über Industriepartnerschaften langfristig Einnahmen zu erwirtschaften. Neue Mitglieder will er über Kampagnen auf Social-Media-Kanälen und Vorstellungen bei privaten und öffentlichen Gesundheitseinrichtungen sowie medizinischen Fachverbänden gewinnen.

Anfang Mai stellte MedShr erste Fälle online, zunächst in Äthiopien und Uganda, danach in Nigeria, im Irak und in Jordanien. Langfristig soll die Initiative auf den gesamten afrikanischen Kontinent und den Nahen Osten ausgedehnt werden. Ein Zwischenbericht stimmt diesbezüglich positiv: Bis zur zweiten Maihälfte wurden 94.000 Ärzte in Afrika und Nahost mit sieben Postings erreicht, weitere 50.000 Ärzte konnten mit ähnlichen Inhalten im Schnitt dreimal adressiert werden. „Das Projekt und die Partnerschaft mit der ADA hilft uns, neue Märkte zu erschließen“, sagt Ulmann. Womit er seinem Ziel, MedShr weltweit als Standard-App für Ärzte zu etablieren, ein Stück nähergekommen ist. ◆


Das Unternehmen

Diskussionsplattform für Mediziner

Das Gesundheits- und Tech-Start-up Medshr wurde vom Kardiologen Asif Qasim angestoßen und 2015 in London gelauncht, um Ärzten aller Fachrichtungen, Medizinstudenten und Krankenpflegern ein geschlossenes Netzwerk für die Diskussion klinischer Fälle und Fortbildung zu bieten. Über Partnerschaften mit Ärzteverbänden und Kliniken wächst das Peer-to-Peer-Netzwerk rasch, es zählt heute mehr als eine Million Mitglieder in 190 Ländern. Einkommen erwirtschaftet MedShr über Fortbildungen, die von Pharmaunternehmen oder Herstellern medizinischer Geräte gesponsert wird. MedShr beschäftigt 40 Mitarbeiter und ist dabei, Hubs auf allen Kontinenten zu errichten. 

Fotos: Medshr, Witthaya/Adobe Stock